
-
Für den Saisonauftakt verspricht die neue Leitung der Komischen Oper ein seltenes Spektakel. Für das Musiktheater "Intolleranza" von Komponist Luigi Nono verwandeln sich Bühne und Zuschauerraum in eine Eiswüste, kein Stein soll auf dem anderen bleiben. Dabei ist das Werk des bekennenden Kommunisten Luigi Nono (1924-1990) auch so schon eine Herausforderung: ein Klangabenteuer der seriellen Musik und ein Drama um Brutalität, Willkür, Ungerechtigkeit, aber auch Liebe und Solidarität.
Heute lernen wir etwas über die Kunst der Illusion – denn statt des Eisschranks wird in der Komischen Oper erstmal die Kochplatte angeworfen.
"Irgendwann wird’s heiß und blubbert…"
Mehr dazu gleich. Am besten, man geht mit dem ungarischen Bühnenbildner Marton Agh die Stufen der temporären Zuschauertribüne hinauf, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die steht im Bühnenraum, wo sonst gesungen wird.
Marton Agh, Bühnenbildner
"Das hier wird eine einzigartige Perspektive fürs Publikum sein. Hier gibt es sonst keine Zuschauerinnen und Zuschauer. Wir wollten ein Umfeld schaffen, dass Ruhe und Schönheit, aber auch Angst und Tod zugleich symbolisieren kann."
Alles anders in der Komischen Oper im Moment. Der Dirigent steht in einer Kanzel hoch über dem Geschehen. Unten findet eine Chorprobe statt. Regisseur Marco Štorman übernimmt spontan als Double die Rolle des Solisten. Luigi Nonos "Intolleranza" erzählt von einem Mann, der sich aus seinem Elend heraus auf die Suche nach einer Heimat macht. Auf dem Weg dorthin durchschreitet er das Tal aller menschlichen Grausamkeit. Eine emotionale Eiswüste – mit einem Funken Hoffnung.
Marco Štorman, Regisseur
"Die Welt mag schrecklich sein und ein Moloch und vor Gewalt explodieren – wir erleben das ja gerade jeden Tag. Ob wir über Krieg reden, über Klimakatastrophe – jeden Tag ist Apokalypse. Und wir leben trotzdem, und wir müssen trotzdem leben. Ich glaube bei Nono geht es darum, dass wir eine Verantwortung haben für unser Leben und für ne Sinnhaftigkeit in unserem Leben etwas zu tun."
Ein visuell bestechender Saisonauftakt kündigt sich da an – es wird die erste Premiere unter dem neuen Intendanzduo. Und die letzte Spielzeit vor Umzug und Sanierung der Komischen Oper, ein Auftakt mit einem politischen Statement.
Susanne Moser, Intendantin Komische Oper Berlin
"Wie wir gesprochen haben, mit was beginnen wir, wollten wir schon ein Werk des 20. Jahrhunderts spielen. Wir wollten ein Werk, das auch ein politisches Werk ist. Und in der Zeit, wo wir es aber programmiert haben, war es auch gar nicht so aktuell, sondern es ist eigentlich die letzten Jahre und vor allem das letzte Jahr noch aktueller geworden."
Philip Bröking, Intendant Komische Oper Berlin
"Es ist ja für uns ein Auftakt einer Zeit, einer Intendanz, in der wir – sobald wir hier nicht mehr in der Behrenstraße Theater spielen können – auch außerhalb, in der Stadt große Projekte machen, in der die normale Anordnung Zuschauerraum, Orchestergraben, Bühne aufgehoben ist und wir neue Perspektiven schaffen. Und das ist hier schon mal so ne Art Vorgeschmack."
Das ist wiederum ganz im Sinne des Erfinders. Der Komponist Luigi Nono strebte mit "Intolleranza" eine neue Form von Musiktheater an, wollte die klassische Bühnensituation auflösen.
Luigi Nono, Komponist (1962)
"Weg von diesem Kerker als Raum. Weg von diesem Schematismus: hier das Publikum, dort das Bühnengeschehen."
Auch in der Komischen Oper steht nun eine 360-Grad-Bühne, dort, wo sonst das Publikum sitzt. Für Marco Štorman reizvolle Aufgabe und ein Stressfaktor zugleich.
Marco Štorman, Regisseur
"Das erfordert von mir tatsächlich viel Hochleistungssport, weil ich eigentlich an allen Plätzen gleichzeitig sein muss, um das Ganze zu koordinieren. Aber der Reiz ist, einen Raum zu schaffen, in dem Musiktheater anders erlebbar wird. Dadurch, dass wir in alle Richtungen spielen, dass man ja quasi auf oder in der Bühne sitzt, wird man Teil eines Settings."
Damit die Eiswüste auch weiß bleibt, muss man die Schuhe ausziehen. Bühnenbildner Marton Agh hat schon mal einen Europäischen Filmpreis gewonnen, ist also ein Experte für Illusionen. Womit wir wieder zu unserem Kochtopf kämen. Heißes Wachs, in ein Wasserbecken gegossen – fertig ist die Eisscholle.
Marton Agh, Bühnenbildner
"Das scheint der effizienteste und günstigste Weg zu sein, falsches Eis herzustellen, dass aus der Ferne glaubhaft aussieht."
Und die Schneelandschaft ist aus einem Stoff, der sich wohl in jedem Kleiderschrank findet.
Marton Agh, Bühnenbildner
"Das Material hast Du in Deiner Winterjacke, es ist Vlies. Viele Leute werden auf der Bühne sein. Das Material kann dann auch das Geräusch der Schritte schlucken. Es ist superweich."
Luigi Nonos "Intolleranza" ist ein wütender Aufschrei gegen all das, was Menschen Menschen antun können. Das Eis ist der Seelenraum dazu, in der Komischen Oper. Düsteres Geschehen, aber es sieht verdammt gut aus.
Autor: Steffen Prell