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Ab Montag, dem 26.09. senden radioeins und rbbkultur für eine Woche mehrere Stunden am Tag aus Riga. Wie ist die Stimmung in Lettland? Das Natomitglied hat eine 300 Kilometer lange Grenze mit Russland, ist geographisch und emotional näher dran. Wir zeigen die Stadt aus der Sicht russischer Exilant*innen.
Riga in dieser Woche, inmitten der Stadt - die Freiheitstatue - das Symbol für die Unabhängigkeit Lettlands und doch sehen viele hier diese Unabhängigkeit bedroht. Putins Ankündigung der Teilmobilmachung ist das Thema, die Angst, selbst angegriffen zu werden. Am Rande der Altstadt – der kleine russischsprachige Buchladen "Neues Riga".
Die Dichterin Yulia Podlubnova und die Autorin Maria Bobyleva sind im März aus Moskau geflohen.
Maria Bobyleva, Autorin und Journalistin
"It is sort of partial but the limits of this partialisness so to say are so transparent so you can it is partial today and will be total tomorrow. And So it is very scary."
"Es heißt zwar "Teilmobilmachung", aber dieses Teil- ist so vage, dass es heute Teil ist und morgen eine totale Mobilmachung geben kann... Und deshalb ist es sehr beängstigend."
Natalia Urbanovich hat den Laden im vergangenen Jahr eröffnet.
Natalia Urbanovich, Buchhändlerin "Neues Riga"
"It is a sad day for all Russians for all Russians whoa re in Russia for Russians who have family and friends there. Sergey, can tell to understand better."
"Es ist eine traurige Nachricht für alle Russen, ob in Russland oder für Russen wie uns, die wir Freunde und Angehörige dort haben. Frag Sergey, er kann es noch besser erklären…"
Sergey Galaktionov arbeitet jetzt mit im Buchladen. Er ist auch im März geflohen. Schon damals fürchtet er, in Putins Armee kämpfen zu müssen.
Sergey Galaktionov, Buchladenmitarbeiter
"I am deeply threatened by the idea of me being on the front being somewhere with the machine gun and something like that. And well, I did not want die for this country because I don’t feel this is something what I would like to die for."
"Ich fühle mich zutiefst bedroht von der Vorstellung, an der Front zu sein, irgendwo mit dem Maschinengewehr oder ähnliches. Ich wollte nicht für dieses Land sterben, weil ich nicht das Gefühl habe, dass das etwas ist, wofür ich gerne sterben würde. "
Im Buchladen von Natalia Urbanovich treffen sich viele Exil-Russen und Russinnen, er ist so etwas wie ihr geistiges und literarisches Asyl. Und Maria und Yulia haben sich hier sogar ihre Bücher wiederentdeckt.
Maria Bobyleva, Autorin und Journalistin
"This is like my first book and the book Yulia is reading is our book that we wrote together about feminist poetry. I did not feel like home but it felt like this booklife that we thought existed only in Moskau, Sankt Petersburg, Jekaterinburg and some other big Russian cities. It also exist somewhere else outside the country so it was a nice surprise."
"Das ist mein allererstes Buch und das was Yulia gerade liest, haben wir gemeinsam geschrieben, es ist über feministische Poesie. Ich fühle mich zwar nicht ganz zuhause, aber es fühlt sich gut an. Ich dahcte, diese Bücherszene gäbe es nur in Moskau, Petersburg oder Jekaterinburg und anderen großen russischen Städten. Dass es das auch außerhalb des Landes gibt, ist eine schöne Überraschung."
In Russland dürfen ihre Bücher nur eingeschweißt verkauft werden, weil sie über Themen wie Feminismus und Queerness schreiben. Wegen der Sanktionen gegen Russland ist es in Riga schwierig neue Bücher zu bekommen.
Natalia Urbanovich, Buchhändlerin "Neues Riga"
"We have a real big problem with the payment of invoices. Because Russian banks are under sanctions now. That is the main difficulty."
"Wir haben ein Riesenproblem, die Rechnungen zu bezahlen, weil russische Banken ja jetzt den Sanktionen unterliegen."
Maria Bobyleva ist auch Journalistin, arbeitet aus Riga weiter für ein Onlinemagazin in Russland. Den Namen sollen wir nicht nennen, damit ihre KollegInnen dort keine Schwierigkeiten bekommen, verhaftet zu werden. Aus Angst vor Repressionen sind sie aus Moskau geflohen.
Maria Bobyleva, Autorin und Journalistin
"We had to leave everything. We still habe our jobs, because we work online... I sold my car in a week, we left our apartement that we rented we left like all our things there and we left the relatives in Russia and we just packed 2 suitcases and came here."
"Wir haben alles zurückgelassen. Wir haben noch unsere Jobs, weil wir online arbeiten können. Aber ich habe in einer Woche mein Auto verkauft, wir haben unsere Mietwohnung aufgegeben, unsere ganzen Sachen, unsere Familien, wir haben 2 Koffer gepackt und sind hergekommen. Das ist etwas, was wir niemals dachten, tun zu müssen."
Aus Protest gegen den Krieg in der Ukraine sind Ende August in Riga sowjetische Denkmäler abgerissen worden. Die baltischen Staaten haben sich eindeutig gegen Russland positioniert und geben seit Montag auch keine Touristenvisa mehr an Russen aus.
Maria Bobyleva, Autorin und Journalistin
"I can understand the Baltic countries who made this decision. But on the other hand of course when it comes down to any person this could be kind of discrimination. Many people who flew Russia they do it with the tourist Visa and this is how we came."
"Ich verstehe die baltischen Staaten, dass sie das entschieden haben. Aber auf der anderen Seite, wenn es um einzelne Schicksale geht, kann das auch diskriminierend sein. Viele Menschen, die aus Russland geflohen sind, sind mit einem Touristen Visum gekommen, wir auch und viele andere eben auch."
Mittlerweile sind viele Journalisten und Autoren nach Riga ins Exil gegangen. In Lettland gibt es seit Jahrzehnten eine große russischsprachige Minderheit. Und trotz aller politischen Schwierigkeiten fühlen sich die Geflüchteten hier willkommen.
Maria Bobyleva, Autorin und Journalistin
"Well, I feel safe here yes and because such a nice, calm really friendly and peacefull town. And of course it is the European Union. I think if we were for example in Georgia or Armenia, I would feel much less safe."
"Ja. Ich fühle mich hier sicher. Weil das ist eine sehr schöne, ruhige und wirklich freundliche und friedliche Stadt. Und natürlich auch, weil sie in der EU Ist. Ich denke, wenn wir zum Beispiel in Georgien oder Armenien wären, würde ich mich nicht sicher fühlen."
Dorthin versuchen nun viele Russen zu kommen, die vor der Mobilmachung fliehen. Glücklich die, die jetzt schon in Riga sind, auch wenn die Angst sie hier einholt. Radioeins und RBBKultur erzählen davon nächste Woche noch viel mehr.
Autorin: Nathalie Daiber