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Die 1970er Jahre waren die besten in der Popmusik der DDR. Das sagen die beiden Deutsch-Rap-Pioniere Max Herre und Dexter. Jahrelang haben sie auf Flohmärkten alte Amiga Platten gesammelt. Jetzt, zum Tag der deutschen Einheit, haben sie ihre Lieblingssongs auf der Kompilation "Hallo 22. DDR Funk und Soul 1971-1981" veröffentlicht. Eine Hommage an ein fast vergessenes, aber immer noch einflussreiches Kapitel der DDR-Musikgeschichte.
Das ist die DDR, die der Westen zu kennen glaubt, das LaLa-Land der Schalmeien, Kampflieder und Marschgesänge. Vorwärts immer! Nun gut. Aber vielleicht haben die Brüder und Schwestern ja etwas überhört und übersehen.
Das hier zum Beispiel. Soul, Funk, Blues. Kopierten die Musiker in den Tanzhallen der DDR zunächst ihre musikalischen Vorbilder - von James Brown bis Jethro Tull, lautete Ende der sechziger Jahre der staatliche Kulturauftrag: Kopiert nicht den "dekadenten Westen", erfindet euch gefälligst selbst.
"Altes Eisen hatten sie und wenig Mut
Denn sie hatten wenig Kraft nach ihrer Niederlage
Ihre Herzen waren voll von bittrem Blut
Und ihr Leben lief auf ausgefahrenen Gleisen"
Jörg Stempel, Musikmanager
"Wir haben nachgespielt, im Osten und im Westen. Im Osten mit der politischen Maßgabe, wir wollen etwas Eigenes entwickeln. Deshalb müsst ihr Rock in Pop in Deutsch singen. Ist ja ein bisschen vergleichbar: Herr Böttger musste ins Verließ bei August, dem Starken, und sollte Gold erfinden. Herausgekommen ist Meißner Porzellan. War auch nicht schlecht. Also letztendlich ist mit deutschprachiger Musik ja auch etwas Gutes entstanden. Und da muss ich sagen: Sonst haben wir alles vom Westen nachgemacht, aber hier waren wir mal zuerst dran."
"Zeigt mal eure Berechtigungskarte. Kann doch nicht jeder hier kommen und hier filmen. Wo kommen wir denn da hin überhaupt?"
Die Modern Soul Band - eine der Spitzenbands in den Siebzigern. Es war nicht gerade leicht auf eine große Bühne zu kommen. Eine staatliche "Spielerlaubnis" erhielt nur, wer sein Handwerk verstand. Und das waren vor allem die an den Hoch- und Fach-Musikschulen ausgebildete Musiker und Komponisten. Von der Bach-Fuge führte der Weg zum Blues-Lick und den Bläsersätzen von Soul und Funk. Virtuosität gepaart mit Selbstbewusstsein und Mut - so erfanden die DDR-Musiker ihren eigenen Sound.
"Himmel und Hölle ist dieses Weib
Himmel und Hölle brennt sie mir auf den Leib"
Frauen wurden nicht nur besungen, sie sangen auch selbst, nicht als sexy-gekleidete Background-Vocals, sondern in der ersten Reihe: Uschi Brüning, Regine Doberschütz, Veronika Fischer.
"Zünde alle Farben an für diese Nacht"
"Immer wenn keine Ruhe ich find
Wär ich gern noch mal klein wie ein Kind"
"Applaudier oder pfeif mich aus
Aber halt dich nicht im Saal versteck."
Jörg Stempel, Musikmanager
"Die Vorteile gegen Musik aus dem Osten sind sehr groß, und die Klischees, die existieren, abzubauen ist sehr schwierig.
Ich muss versuchen über Protagonisten, die authentisch sind, die eine hohe Wertigkeit als Künstler haben, die muss ich gewinnen als Partner, damit sie musikinteressierten Brüdern und Schwestern erklären, das ist tolle Musik."
"Das war nur ein Moment"
Manfred Krug und Max Herre - die Inspiration für dieses Duett kam von Jörg Stempel. Seit fast 30 Jahren kümmert sich der Musikmanager um den Amiga-Katalog. Darum, dass dieses musikalische DDR-Erbe kein verlorenes ist, sondern in immer neuen Facetten und Konstellationen lebendig bleibt. Bei dem Schwaben Max Herre stieß er auf offene Ohren.
Jörg Stempel, Musikmanager
"Max hat eben erkannt, dass diese unverstellte, auch von der Hochschule inspirierte Phase in den siebziger Jahren ganz stark war."
"Sie ist einfach fortgegangen"
DDR-Soul hörte Max Herre erstmals in den 90er Jahren im Stuttgarter Hi Club. Damals ein Kuriosum. Aber die Party lief trotzdem weiter.
Nun gibt es von ihm und Compagnon Dexter ein Vinyl-Album: "Hallo 22" eine liebevoll kuratierte Zusammenstellung von 18 Songs. Ergänzt durch zwei neu gesampelte Lieder.
"Aus und vorbei"
Jörg Stempel, Musikmanager
"Dass junge Künstler Titel aufgreifen, ob es ein Sample ist oder ob sie es richtig Covern, dass die es neu vorstellen ihrer Zielgruppe, ihrem Publikum, das ist ein gutes Mittel, um die Hits dieses Kataloges zu erhalten."
"Um Mitternacht endlich geht die Schönhauser allmählich Ruh"
Veronika Fischer singt über die "Schönhauser", in einer Zeit als das Leben hier noch so aussah. Auch dieses Lied findet sich auf dem Album. Ein Album, das ganz und gar unnostagisch klingt, zeitlos, wie ein guter Song von den Beatles oder Stevie Wonder.
Autor: Lutz Pehnert