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Die Geschichte des Films "In einem Land, das es nicht mehr gibt" klingt nach einem Mädchentraum: Eine junge Frau wird zufällig fotografiert, ihr Bild landet auf dem Cover einer Modezeitschrift – der Einstieg in eine glamouröse, verlockende und auch fremde Welt. So ähnlich hat es die preisgekrönte Filmemacherin Aelrun Goette selbst erlebt. Sie wurde in den 80er Jahren auf der Straße in Ostberlin entdeckt, modelte und stand für die großen Fotograf*innen der DDR vor der Kamera. Daraus hat sie einen Spielfilm gemacht.
"Wir geben dir hier die Chance zum würdigen Mitglied unserer Gesellschaft zu reifen."
Aalrun Goette, Regisseurin
"Es ist ja vieles authentisch. Also beispielsweise habe ich, bin ich genau wie meine Hauptfigur auch, ich wurde verhaftet, weil ich diesen Aufnäher Schwerter zu Pflugscharen hatte. Und bei mir war es dann so, dass ich nicht zum Abitur zugelassen war, weil ich keine reife sozialistische Persönlichkeit war. Und dann musste ich einen Beruf lernen, den ich nicht lernen wollte."
"Sag mal Kleene, freiwillig biste aber nicht hier."
- "Nee."
"Jetzt pieps hier nicht so rum, watt?"
- "Nee. Nein."
Aalrun Goette , Regisseurin
"Mir war klar eine Ausbildungszukunft hab ich nicht mehr in der DDR, ich war nicht mehr in der FDJ, ich habe diese ganzen Dinge dann losgelassen und habe so eine bestimmte Form von Freiheit gefühlt. Ich dachte mir, ich kann ja eh nichts. Was wollen Sie mir noch wegnehmen?"
Am Anfang ihres Lebens, kurz vorm Ende der DDR passiert Aelrun Goette das, was heute ein Traum eines jeden Mädchens ist: sie wird als Model entdeckt. Goette macht das nur für ein paar Jahre. Doch die prägen die Regisseurin so, dass sie einen Film daraus machen musste. 14 Jahre hat die Finanzierung gebraucht. Jetzt ist sie zu sehen, diese bewegende Mischung aus selbst Erlebtem... und Fiktion.
"Und wie kommst du in die Sibylle?"
- "Ha, das bin ja ich."
"Einfallslos und bieder, wir sind doch hier nicht bei der Brigitte."
- "Unsere sozialistischen Frauen bei der Produktion, det ist der Titel für dein neues Heft."
In ihrem Film betritt Goettes alter ego Susi eine Insel der Schönheit im Einheitsgrau des Sozialismus. Es ist eine Welt, die offenbar bis heute nicht in das gängige DDR-Bild passt.
Aalrun Goette, Regisseurin
"Das fing an, dass ich die Geschichten aus dieser Zeit erzählt habe, meinen Freunden, und vor allem auch meinen Freunden aus dem Westen und Bekannten. Und alle haben immer sehr gestaunt und haben gesagt: Das können wir uns gar nicht vorstellen, dass es so etwas gab. Und parallel dazu bin ich immer mit einer Schablone konfrontiert worden, immer mehr, die sich so über den Osten gelegt hat, wo ich das Gefühl hatte, meine Vergangenheit kommt da drin gar nicht richtig vor. Die hat da gar nicht richtig Platz."
Goette erzählt eine schillernde Coming-of-Age-Geschichte inmitten des real-sozialistischen Alltags. Eben der wird im Film auch gezeigt und wie im Kult-Mode-Magazin Sibylle ästhetisch hochwertig verpackt.
"Sehr schön."
Der Film zeigt eine Version vom "Sozialismus mit menschlichem Antlitz".
"Hier geht es um Schönheit. Weißt du, was das ist, Schönheit? Schönheit ist ein Versprechen, dass es jenseits der Mittelmäßigkeit etwas gibt, wo Ruhe herrscht. Schönheit besänftigt die Nerven, Schönheit ist keine gute Absicht, sondern eine Tatsache."
Aalrun Goette, Regisseurin
"Ich habe diesen Monolog geschrieben. Das war ganz lustig, als ich eine wirklich deftige Ablehnung bekommen habe von einem ARD Sender, warum mein Stoff irgendwie nicht relevant sei. Und da wurde auch Schönheit als oberflächlich bezeichnet. Und da habe ich mich so geärgert, dass ich dann diesen Monolog über Schönheit geschrieben habe, weil ich gedacht habe, die Schönheit, Schönheit ist was anderes. Schönheit ist, muss man größer denken."
"Schönheit ist Provokation, Strenge, Verantwortung. Und Schönheit hat ihren Preis."
Die Lehre von der "Schönheit des aufrechten Gangs", ist das eigentliche Thema von Göttes Film. Und der Ausdruck des "Selbst durch Mode" – die wechselhaft wie der Mensch ist.
"Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber die ich liebe will ich nicht verlassen."
Stück für Stück lernt der Zuschauer, wie man Ambivalenzen aktiv und attraktiv in der DDR hat ausleben können.
"Sagt mal Genossen, ick kenn nen Journalisten vom Stern. Der will ne große Reportage machen. Und det wäre wahnsinnig nett, wenn ick mal die Kamera uff sie druff halten könnte. So Stasi-Lokalkolorit-mäßig."
Aalrun Goette, Regisseurin
"Und das ist ja fast eine Art Blaupause, wie viele im Osten auch versucht haben, kreativ zu sein oder auch Positives in der Gesellschaft zu bewirken. Das ging nur, indem man immer irgendwie in irgendeiner Form auch versucht hat, damit zu jonglieren."
"Was ist es dir wert, deinen Traum zu leben."
- "Entweder du bist frei, dann bist du's überall, oder du bist es nicht, dann nützt dir auch der Westen nichts."
Aalrun Goette, Regisseurin
"Das war mir total wichtig, dass ich konkret im Gestern eigentlich eine Geschichte über das Heute erzählt habe. Also die Herausforderungen, mit denen meine Figuren umzugehen haben, sind Herausforderungen, die ich in unserer Zeit für elementar halte. Also beispielsweise: Wie weit gehe ich für das, wovon ich träume?"
Die Mode ist der größte Gleichmacher, so sagt man. Goettes Film nutzt diese Tatsache und beweist zugleich das Gegenteil. Er ist jugend- und familientauglich wie eine Castingshow. Nur besser.
Autorin: Sylvie Kürsten