
-
Der Dokumentarfilm "Girl Gang" beobachtet die 14-jährige Leonie aus dem Osten Berlins, die als Influencerin hunderttausende Follower hat. Viele Firmen wollen mit ihr ihre Produkte bewerben, Leonies Eltern übernehmen das Management. Doch der gnadenlose Druck des Marktes hat Folgen für Leonie und ihre Familie. Der Film gewann beim Dokfilm Festival München den Publikumspreis.
Leonie, Influencerin
"Hey Leute, und ganz herzlich willkommen zu diesem Video, hier auf meinem Kanal."
"Ich find die richtig gut, weil, die hat auch solche Bürsten. Und da könnt ihr dann ganz einfach über euer Gesicht fahren und das Ganze auch mit einer App steuern. Ja, und dann schminkt ihr euch einfch so ab..."
So sind Teenager, sie testen aus, wer sie sind. Tanzen vor dem Spiegel, um sich selbst zu gefallen. Leonies Spiegel ist das Smartphone, ihre Selbstdarstellung allerdings kein pubertärer Spaß, sondern ein Geschäftsmodell: Lifestyle plus die passenden Produkte dafür.
Deshalb wird sie gefeiert, als wäre sie Jeanne D’Arc oder Helene Fischer. Sind das die Träume der Jugend von heute?
Susanne Regina Meures, Regisseurin
"Ich habe nach der Essenz gesucht, ich habe wirklich nach dem gesucht, was ist heutzutage, in unserer Zeit, was ist neu, was unterscheidet diese junge Generation von Generationen zum Beispiel auch von der vor 10 Jahren. Und Leonie, war einfach die, die all die Eigenschaften vereint hat."
Leonie, Influencerin
"Guck mal, wie viele schon da sind, das ist einfach der Wahnsinn."
Was Leonie in ihrer Generation groß gemacht hat, ist kein außergewöhnliches Talent. Es ist ihr Doppelwesen: ein echter Mensch zu sein und zugleich eine totale Kunstfigur. Eine "Influencerin". Unternehmen bezahlen sie dafür, Dinge schön zu finden und weiterzu- empfehlen. Und allein dafür lieben sie ihre Fans - auf Instagram und im richtigen Leben.
Leonie, Influencerin
"Ich finde es einfach krass, wie die Leute mich abfeiern, so ein krasser Antrieb. Jetzt produziere ich einfach noch mehr, baue das Ganze aus, jetzt pushe ich mich einfach noch mehr."
Filmausschnitt, Girl Gang, Regie: Susanne Regina Meures (2022)
"Die Erwartung, was so ein Mädel verdienen kann, das kann man gar nicht so sagen. Ich meine, machst du drei Jobs, hast du eine halbe Million Euro auf dem Tisch."
- "Theoretisch?"
"Nee, auch praktisch!"
"Das Problem ist ja, wir werden ja viel Geld verdienen. Da reden wir von ein paar Millionen Euro innerhalb von anderthalb Jahren oder so."
Susanne Regina Meures, Regisseurin
"Leonie ist mit 13 auf Instagram gegangen und war relativ schnell relativ erfolgreich. Und hat aber wirklich wahnsinnig viel reingesteckt, immer pünktlich gepostet, sich lustige Sachen ausgedacht. Irgendwann kamen erste Anfragen von Firmen, da war sie 14. Und es war ganz klar, dass sie jemanden brauchte, der sich um sie kümmert, auch um dieses Geschäft, was sich da so langsam entwickelt hat, sich darum kümmert. Es gibt halt auch einige Manager da draußen, Agenturen, die so etwas übernehmen. Und ich glaube, die Eltern haben sich anfänglich sehr darum bemüht aber haben einfach niemanden gefunden, dem sie die Verantwortung übergeben wollten, für ihre 14-jährige Tochter."
Sani, Mutter von Leonie
"Meine Träume drehen sich immer nur um Leo. Ich glaube, für mich selber habe ich gar keine Träume. Die Zukunft macht mir Angst. Wenn du Mutter bist und so tief drinsteckst, dann ist dein einziger Traum, dass die Zukunft deines Kindes finanziell gesichert ist."
Andy, Vater von Leonie
"Ich will mein altes Leben nicht zurück. Mein Leben ist jetzt so viel spanender, ganz anders, so frei, eigentlich ist es perfekt, weil ich eben nicht das Gefühl habe, jeden Tag arbeiten gehen zu müssen, sondern den Traum meiner Tochter lebe. Es ist der Wahnsinn, was Leo uns hier ermöglicht."
Auf der anderen Seite der Medaille zeigt der Film Melanie, eine Followerin, die bis zu 16 Stunden am Tag mit Leonie verbringt - via Smartphone. Und einmal in dem Glück, ihr Idol zu umarmen.
Und Leonies Eltern? Sie glauben, ihre Tochter beschützen zu können, in dem sie ihre Manager sind. Aber sie sind nur die Vollstrecker eines Geschäftsmodells. Dabei überfordern sie sich und ihre Tochter.
Filmausschnitt, Girl Gang, Regie: Susanne Regina Meures (2022)
"Du tust immer so als würdest du alles für mich so hinschieben. Und dann lässt du dich von denen überreden, dass ich es nochmal machen muss."
- "Dann ruf ich an und sage ab."
"Ja."
- "Ist mir scheißegal."
"Ja."
"Wir müssen liefern, wir müssen die ganze Zeit liefern."
Susanne Regina Meures, Regisseurin
"Ob ich das kritisch betrachte oder nicht, natürlich haben soziale Medien aus uns Dopamin-Junkies gemacht, ich glaube, dass soziale Medien, ein großes Maß an Selbstdisziplin brauchen, aber es ist nicht so, dass ich sie mir weg wünsche würde."
Was diese Familie, diese Girl Gang, vereint, ist der Glaube, dass ein Pool im Garten schon das bessere Leben ist. In diesem Glauben sind sie Getriebene und in ihrer Getriebenheit über jeden Streit erhaben. Am Rand von Berlin findet der Kapitalismus sein kleines Glück.
Leonie, Influencerin
"Jetzt habe ich die Million. Eine Million Menschen folgen mir auf Instagram. Das ist so geil. Aua."
Autor: Lutz Pehnert