
-
Die Art, wie die Deutschen sich ihrer Nazivergangenheit in Denkmälern oder im Schulunterricht erinnern, hat die Philosophin Susan Neiman schon früher gelobt. Davon könne man sich weltweit auch etwas für die Aufarbeitung der Kolonialverbrechen abschauen. Doch darf man den Holocaust mit Kolonialverbrechen vergleichen?
Sie stammt aus den Südstaaten der USA, wo Sklaverei und Rassentrennung besonders lange andauerten. Schon als junge Frau hat Susan Neiman dagegen angekämpft. Sie ist Jüdin. Ihre Familie blieb vom Holocaust verschont. Doch die Shoa verstand sie immer als Appell, sich für verfolgte Menschen einzusetzen.
Susan Neiman, Direktorin Einstein Forum
"Ich hörte von meiner Familie auch in meiner Synagoge: Gerade weil wir Juden unterdrückt waren, müssen wir auf Seite der Menschen stehen, die Sklaven waren in Georgia. Und so war meine Mutter sehr engagiert. Wir haben nicht auf die Singularität des Leidens der Juden gepocht, sondern auf die Verbindungen zu anderen unterdrückten Völkern."
Die Art, wie die Deutschen sich ihrer Nazivergangenheit in Denkmälern oder im Schulunterricht erinnern, hat die Philosophin Susan Neiman schon früher gelobt. Davon könne man sich weltweit auch etwas für die Aufarbeitung der Kolonialverbrechen abschauen. Doch darf man den Holocaust mit Kolonialverbrechen vergleichen? Wird dadurch nicht das größte Verbrechen der Menschheit verharmlost? Dazu hat Neiman nun ein Debattenbuch mitherausgegeben. Sie selbst bezieht darin klar Stellung.
Susan Neiman, Direktorin Einstein Forum
"Je mehr man auf die Singularität des Leids der Juden pocht, desto mehr wächst das Ressentiment gegenüber Juden. Ich finde es tatsächlich gefährlich für Juden. Also wir sind viel besser beraten, uns mit anderen unterdrückten Völker, die es weiß Gott gibt und gegeben hat, als nur zu sagen: Unser Leid ist das schlimmste."
Manche Historiker sehen dies fundamental anders. Angesichts vieler antisemitischer Angriffe auf Juden dürfe der Holocaust nicht relativiert werden. Zur deutschen Erinnerungskultur gehöre auch die unverbrüchliche Solidarität zu Israel - diese gerate dann in Gefahr. Kritik an der israelischen Politik diene dann als Vorwand für antisemitische Einstellungen. Genau das befürchtet der Münchner Geschichtsprofessor Michael Wolffsohn, ein Experte für das zwanzigste Jahrhundert. Er kritisiert das Buch.
Michael Wolffsohn, Autor "Eine andere jüdische Weltgeschichte"
"Das, was da vorgetragen wird bei diesem Vergleich Kolonialismus vs. Holocaust, ist die Rechtfertigung für die Killer und Mörder und diejenigen, die Juden bedrohen. Das heißt, dass die dummen Kerle, die die Juden und Israel bedrohen, mit Gewalt, die Rechtfertigung durch die Intellektuellen und die Pseudo-Intellektuellen bekommen. Das ist die Gefahr."
Das Buch "Historiker streiten" wird die Debatte befeuern, das war schon bei der Buchvorstellung zu erleben. Die Herausgeber wollen vor allem eins: festgefahrene Positionen in der Erinnerungskultur hinterfragen. Schließlich würde dies durch junge Menschen heute ohnehin geschehen - das glaubt die Schriftstellerin Eva Menasse, die auch einen Beitrag für den Band verfasst hat.
Eva Menasse, Schriftstellerin
"Ich glaube wirklich, dass sich auch nachwachsende junge deutsche Generationen das nicht mehr alles so unkritisch anziehen werden, wie das bisher gewesen ist. Wie lang gilt das eigentlich, Angehöriger einer Opfer- oder einer Täterfamilie zu sein? Gilt das für die Enkel und Urenkel auch immer noch? Wie lang hält das eigentlich vor, dass ich sagen kann: Meine wurden aber verfolgt! Und Deine haben das KZ geleitet! Irgendwann ist doch Schluss, rein generationell. Und daher glaube ich, dass schon viel passiert ist in der letzten Zeit. Und die Schrillheit der Debatte wird sich legen."
Deutschland ist ein multikulturelles Einwanderungsland geworden. Gerade in der postmigrantischen Gesellschaft, glaubt Susan Neiman, ist es für ein gutes Miteinander wichtig, alle Positionen zu diskutieren.
Susan Neiman, Direktorin Einstein Forum
"Wenn man solche Debatten nicht führt, bleiben sie untergründig und langfristig destruktiv - sowohl für Individuen wie auch für Nationen."
Autor: Norbert Kron