
-
Wenn das Gas knapp wird, sind Museen und andere Kulturinstitutionen kein Teil der kritischen Infrastruktur. Das steht im sogenannten Gasnotfallplan, Stufe 3. In den deutschen Museen wird es dann feucht, kalt und dunkel. "Schimmel, Korrosion, giftige Gase, mechanische Zerstörung" – mit diesen drastischen Worten beschreiben Deutschlands Kultusminister*innen in einem Papier die Folgen für die deutschen Kulturschätze und schlagen Alarm.
Das Untergeschoss des Berliner Musikinstrumentenmuseums. Hier steht die Klimaanlage. Ein Gewirr aus Rohren, Leitungen, Schaltschränken und riesigen Ventilatoren. Das alles hier sorgt dafür, dass es oben den hyperempfindlichen Kunstgegenständen gut geht. Sie mögen’s nicht zu kalt, nicht zu warm, nicht zu feucht und nicht zu trocken. Für diese Unterwelt interessieren sich normalerweise wenige. Dann, am 24. Februar überfällt Russland die Ukraine.
Alles wird schnell anders: Nach wenigen Wochen reduziert Russland die Gaslieferungen. Wirtschaftsminister Robert Habeck tritt an die Öffentlichkeit: Er ruft die Stufe 2 des Gasnotfallplans aus, die Alarmstufe.
Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister, 23. Juni 2022
"Wir haben in Deutschland eine Störung der Gasversorgung, so ist es definiert. Daher ist es erforderlich, diese Alarmstufe auszurufen. Gas ist von nun an ein knappes Gut in Deutschland."
Mit Entsetzen stellen die Museumsleute und Kulturpolitiker jetzt fest, dass bei der 3. Stufe, der "Notfallstufe", die Kultur nicht mehr mit Gas versorgt wird. Im Notfall also, wenn der Staat das Gas rationieren muss, könnte es in Deutschlands Museen dunkel und kalt werden. Die Staatsministerin für Kultur, Claudia Roth, hält das für inakzeptabel.
Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur
"Viele Menschen haben erst in der Covid-Pandemie kapiert, was ist eigentlich los oder was fehlt mir, wenn plötzlich alles stumm und geschlossen wird."
Für die Museumsleute stellen sich drängende Fragen: Sie arbeiten bereits an Plänen, 20% Energie zu sparen – so lautet die Auflage. Aber was machen sie, wenn in ihren Häusern überhaupt keine Energie mehr ankommt.
In der Berliner Gemäldegalerie gibt es 3000 Kunstwerke – fast alle von Weltrang. Direktorin Dagmar Hirschfelder hat ein Krisenszenario für ihr Haus aufgestellt – aber das klingt nicht besonders beruhigend.
Dagmar Hirschfelder, Direktorin Gemäldegalerie Berlin
"Für unsere eigenen Werke hieße das, dass wir die besonders klimaempfindlichen Werke aus den großen Galerieräumen auslagern würden oder umlagern würden in klimastabilere Depoträume. Aber jetzt kommt der Punkt: Das ist nur möglich für eine ganz kleine Anzahl von wirklich absoluten Highlights."
Ein paar hundert Meter entfernt steht das Musikinstrumentenmuseum. Direktorin Conny Restle spielt auf einem 250 Jahre alten Cembalo, dessen Klang schon Marie Antoinette erfreute. Überleben kann dieses Cembalo nur in einem sehr engen Klimakorridor von ca. 21 Grad und einer Luftfeuchte von 50%.
Conny Restle, Direktorin Musikinstrumentenmuseum Berlin
"Das ist nur verspreizt und wenn dann überhaupt mit Knochenleim verleimt. Und wenn die Materialien dann stark schrumpfen würden, dann würden diese Verbindungen aufgehen und das Instrument würde quasi in sich zusammenkippen."
Staatsministerin Roth hat mit ihren Länderkollegen ein 15-seitiges Alarmpapier verfasst, in dem gefordert wird, die Kultur zur kritischen Infrastruktur zu erklären. In drastischen Worten wird geschildert, was passiert, wenn der Gasnotfallplan nicht geändert wird. Im Interview gibt sich Claudia Roth kämpferisch-optimistisch.
Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur
"Es ist leider nicht verankert worden. Aber wir haben den Fuß jetzt wirklich überall drin. Wir haben den Fuß drin, dass es eine Lobby von 16 Kulturminister*innen der Länder gibt, die wissen, worum es geht."
Aber der zuständige Präsident der Bundesnetzagentur Klaus Müller, oberster Gasverteiler, ist weder optimistisch noch gesprächig. Er schickt seinen Pressesprecher vor, der uns die Gesetzeslage erklärt... - korrekt und doch irgendwie grausam.
Fiete Wulff, Pressesprecher Bundesnetzagentur
"Wir können dieses Bedürfnis sehr gut verstehen. Was wir zum heutigen Zeitpunkt nicht tun können, ist generelle Ausnahmen zuzusagen, Ausnahmen zu garantieren."
Seit 3 Wochen kommt kein Gas mehr aus Russland. Die 3. Stufe – der Notfall rückt näher.
Dagmar Hirschfelder steht vor ihrem Lieblingsbild: "Maria mit dem Kind" von Rafael. 500 Jahre ist es alt. Versicherungswert: 160 Millionen €. Im absoluten Ernstfall wäre es eins der 70, maximal 80 Bilder, die sie in einem Sonderdepot retten könnte – aber die Gemäldegalerie hat 3000 Bilder.
Autor: Lutz Kalkreuth