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Es war ein baulicher Kampf der Systeme in den 50ern. Entlang der heutigen Karl Marx Allee im Osten Berlins entstanden Arbeiterpaläste aus dem Schutt der Ruinen. Im Westen, im Hansaviertel feierten währenddessen Architekten wie Walter Gropius oder Oscar Niemeyer die Moderne. Die Gebäude in Ost und West sollen jetzt - in einem neuen Anlauf - gemeinsam Unesco-Weltkulturerbe werden.
Kann man Hoffnung bauen? Die heutige Karl-Marx-Allee in Friedrichshain ist der Stein gewordene Versuch der jungen DDR, genau das zu tun. Ein Prachtboulevard auferstanden aus Ruinen. Der Westen will nachziehen: Hier wird das Hansaviertel zum Zukunftsversprechen - und zum internationalen Ausstellungs-Event. Ein Wettrüsten am Bau zwischen Ost und West beginnt. Der Grundstein dieser Konkurrenz wird 1951 an der Weberwiese gelegt. Hier zeigt uns Architektur-Historiker Paul Sigel das Vorbild für das größte Wiederaufbauprojekt der DDR.
Paul Sigel, Architekturhistoriker
"Interessant ist dieses Haus deshalb, weil es einerseits - das, denke ich, sieht man auf den ersten Blick - eine gewisse Monumentalität hat, es weist auch bestimmte [...] klassizistische Elemente auf - wie Säulen, wie Pfeiler [...] Andererseits ist es ein modernes Gebäude, [...] Und das ist das Interessante daran, dass es eben nicht nur eine rückwärtsgewandte Architektur ist. Das ist eigentlich etwas Neues."
Paul Sigel erforscht in einem Team die Karl-Marx-Allee und das Hansaviertel. Er will wissenschaftlich belegen: Dieses architektonische Erbe ist weltweit einzigartig. Nur wenn das gelingt, hat Berlin Chancen, damit auf der UNESCO-Welterbeliste zu landen.
Paul Sigel, Architekturhistoriker
"Ich bin in Westdeutschland groß geworden, und wir haben Klassenfahrt nach Berlin gemacht - schon damals, das war noch vor der Wende, auch mit Besuch in Ost-Berlin. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass wir hier auch standen und hier lang gelaufen sind - und es hat uns alle unglaublich beeindruckt."
Mit den schnell wachsenden Arbeiterpalästen liegt die DDR vorn im Wettstreit der Systeme, Anfang der 50er. Der Westen Berlins liegt da noch in Schutt und Asche.
Carsten Bauer, Bürgerverein Hansaviertel
"West-Berlin hatte im Verhältnis [...] zur DDR einen absolut zeitverzögerten Wiederaufbau. Denn alles an Material musste hierhergefahren werden. [...] Man musste erst einmal Brot nach Berlin bringen und dann erst Beton und Dachpappe - zu einer Zeit, in der im Osten die wirklich prächtigen Gebäude, die Arbeiterpaläste, in einer Rekordzeit erwachsen sind - das war natürlich ein Schlag ins Gesicht der West-Berliner."
Der Gegenschlag aus dem Westen: Eine internationale Bauausstellung, um das zerbombte Hansaviertel neu zu erschaffen. Eingeladen werden Star-Architekten "der freien Welt" wie Walter Gropius oder Oscar Niemeyer. Sie sollen die "Stadt von morgen" errichten und natürlich die DDR übertrumpfen.
Ein vielfältiges Viertel entsteht - voller Grün - in dem Hochhäuser, Wohnblöcke und Flachbauten sich abwechseln. Ausstellungsdesigner Carsten Bauer ist hier seit über 20 Jahren zu Hause. Er engagiert sich im Bürgerverein Hansaviertel, der für das Welterbe kämpft.
Carsten Bauer, Bürgerverein Hansaviertel
"Mich fasziniert an der Nachkriegsmoderne wirklich diese Zurückhaltung, die Dezenz, der Umgang mit Materialien, mit Volumen. Das ist was, was mich absolut begeistert. Und für mich war es vollkommen klar, wenn ich nach Berlin ziehe, dann gibt es nur das Hansaviertel."
Die "Interbau" im Hansaviertel wird zum Riesen-Event und Publikumsmagnet – ein Drittel der Besucher kommt aus der DDR. Über die Musterwohnungen mit modernstem Komfort und den Ausblick von der Seilbahn staunen mehr als eine Million Menschen.
Carsten Bauer, Bürgerverein Hansaviertel
"Ich habe zwei Nachbarinnen, beide waren mit ihren Eltern auf der Interbau, und die Eltern haben damals, als die Kinder gesagt haben; "das will ich auch, da will ich wohnen", wohl gesagt: "Das ist völlig unmöglich, solche tollen Wohnungen wird man sich nie ergattern." Und später sind dann die beiden Damen mit den Familien ins Quartier gezogen."
Manche der Blöcke im Hansaviertel nehmen 1957 im Westen vorweg, was später ein Symbol für den Osten wird - die Plattenbauweise. Billiger bauen mit vorgefertigten Teilen: So verlängert die DDR die Stalinallee ab ‘59 Richtung Alex.
Paul Sigel, Architekturhistoriker
"Wenn Sie sozusagen die Fassadenstruktur anschauen, dann sehen Sie so Rahmungen um die Fenster herum. Das sind die Platten, die zusammengesetzt werden [...] Das ist auch eine Ästhetik, die bewusst gezeigt wird."
Ihre Forschungsarbeit für den Welterbe-Antrag stellen Paul Sigel und sein Team nächste Woche öffentlich vor. Bis zur Entscheidung der Unesco ist es noch ein langer Weg.
Autorin: Anne Kohlick