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Wenige Monate vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 nehmen fünf junge Frauen und Männer an einer einzigartigen Theaterinszenierung teil. Darin versuchen sie, ihre Kriegserfahrungen mit Shakespeares Theaterstück Hamlet in Beziehung zu setzen. Die Bühne ist eine Plattform, auf der sie ihre Trauer und Traumata reflektieren können. Die Dokumentation begleitet die Darstellerinnen und Darsteller bei diesem Prozess. Einige der Protagonist:innen des Films kämpfen seit dem Überfall auf die Ukraine an der Front. Regisseurin Elwira Niewiera lebt mittlerweile in Berlin und unterstützt ihre Bataillone mit Hilfsgütern.
Filmszene, "Das Hamlet Syndrom", Regisseurin: Elwira Niewiera
"Ich war Hamlet am 21. Januar 2015."
Der Ex-Soldat Slavik als Hamlet auf einer Bühne in Kiew. Das Theaterstück ist Teil eines Filmprojekts, bei dem Kriegsteilnehmer ihre Traumata verarbeiten.
Vor acht Jahren wollte Slavik sich erschießen, um der Gefangennahme durch russische Separatisten an der Front im Donbass zu entgehen. Es gibt eine Aufnahme von diesem Moment.
Ex-Soldat Slavik Gawjanets
"Mein Name ist Slawik Gawjanets von 80. Brigade."
Eine traumatische Erfahrung. Der Jura-Student hatte damals schon mit seinem Leben abgeschlossen.
Piotr Rosołowski, Filmemacher
"Das sind nicht Schauspieler, die auf der Bühne versuchen, jetzt was auszudenken oder spielen, als ob die sozusagen von dem Krieg betroffen waren. Nein, das sind Leute, die wirklich das erlebt haben."
Elwira Niewiera und Piotr Rosołowski, die preisgekrönten Filmemacher aus Berlin, wollen mit ihrem Film "Das Hamlet Syndrom" Zuschauer auch in Deutschland aufrütteln. "Sein oder Nicht-Sein": dieser berühmte Hamlet-Frage mussten sich ihre Protagonist:innen schon ganz real stellen. Katya, Slawik und Roman haben nach 2014 im Donbass-Krieg gekämpft. Kaum jemand außerhalb der Ukraine hat diesen Krieg ernst genommen, schon gar nicht seine verheerenden Folgen.
Filmszene, "Das Hamlet-Syndrom", Regisseurin: Elwira Niewiera
"Oh – ein Mädchen an der Front, wie exotisch! Was hast du im Krieg gefühlt. Hast du getötet? Wie war es für dich zu schießen?"
Elwira Niewiera, Regiesseurin
"Dieser Krieg hinterlässt eine Unfähigkeit, in den Alltag zurückzukehren. Er versetzt in Apathie, versetzt in Hilfslosigkeit."
Lange haben die traumatisierten Donbass-Kämpfer*innen damit gerungen, wieder in den Alltag zurückzufinden. Dann marschiert die russische Armee in der Ukraine ein und sie mussten erneut an die Front. Damals war der Film fast fertig. Was tun? Die beiden Filmemacher entscheiden sich, von Berlin aus zu helfen. Seitdem bekommen sie fast täglich Hilfsgüter für die ukrainische Armee. Heute Solarpanele.
Elwira Niewiera, Regiesseurin
"Und es braucht keine Sonne, es braucht nur Licht, das ist auch das Gute dran. Das heißt: auch im Winter kann das Strom geben. Und das ist toll."
Geräte für mehrere 100.000 € haben sie schon verschickt: Powerbanks, Satellitensysteme und für den Sanitäter Roman, einen ihrer Film-Protagonisten, dieses Quad, mit Anhänger für Verletzte. Der Schauspieler war früher schon als Sanitäter im Donbass - die Toten, die er damals nicht retten konnte, verfolgten ihn lange.
Elwira Niewiera, Regiesseurin
"Er erzählte, dass er – ok – an Schlaflosigkeit leidet, aber wenn er einschläft, schlägt er um sich herum. Das heißt, seine Frau, die neben ihm im Bett liegt, wurde mehrmals geschlagen, bis Sie verstanden haben: Sie dürfen gar nicht zusammen in einem Bett schlafen."
Bis Ende Dezember war Roman als Sanitäter in Bachmut an der Front. Es gab viele Tote. Elwira und Piotr sind an seiner Seite, oft mit Videocalls. Gerade ist er auf einem Übungsplatz.
Roman, Sanitäter in Bachmut an der Front im Videocall
"Ich komme nicht wirklich gut damit zurecht, dieses Böse zu fühlen, dass ich die Russen verfluche, sie hasse. Und ich arbeite daran, dass das nicht zu meiner Hauptenergie an der Front wird. Die medizinische Arbeit erschöpft mich sehr. Und ich möchte wirklich reagieren, was verändern! Zurückschlagen. Ihnen alles zurückzahlen. Ich kann es gar nicht begreifen, wie man mit diesem Alptraum normal umgehen kann."
Elwira Niewiera, Regiesseurin
"Sein Bataillon wurde von der Front zurückgezogen, nachdem von 150 Soldaten nur 37 am Leben geblieben sind. Und das sind die Realitäten, über denen man auch nicht spricht, nicht sprechen darf, um überhaupt die Motivation der ukrainischen Soldaten am Laufen zu halten."
Auch Katya wurde im aktuellen Krieg erneut traumatisiert. Ergreifend nah zeigt "Das Hamlet Syndrom", was der Krieg mit Menschen macht. Es ist ein eindringlicher Appell an uns alle, den Ukrainern jetzt zu helfen in diesem Krieg.
Autorin: Petra Dorrmann