
-
Seit Jahrzehnten machen Clubs und Subkultur-Freiräume Berlin zu einem Sehnsuchtsort für Menschen aus aller Welt. Von den Treffpunkten der Punk- und New Wave-Szene der 1980er Jahre bis zu den Technoclubs der 1990er. Diese Orte erzählen auch immer von der Geschichte der Stadt, vom Kalten Krieg, dem Fall der Mauer oder dem Ende der DDR. Daniel Schneider hat diesen Orten das Buch "Places" gewidmet. Viele dieser Treffpunkte existieren heute nicht mehr oder sind gefährdet, sie werden durch Illustrationen von Tine Fetz wiederbelebt.
Ach Berlin, wie haste dir verändert. Wer weiß schon noch, was für sagenumwobene Orte einmal hinter solch unscheinbaren Fassaden lagen? Zum Beispiel hier: Budapester Straße, City West.
DJ Norbert alias Norbert Bode
"Wir müssen da nach hinten, da war der Eingang vom Linientreu. Der alte Eingang."
Sie wissen, wo‘s lang geht. DJ Norbert und DJ Westbam. Norbert Bode und Maximilian Lenz.Als hier noch das Linientreu war, dieser Westberliner Tanztempel, war Norbert der DJ. Und Westbam sein 17-jähriger Fan. Wir schreiben das Jahr 1982.
DJ Westbam alias Maximilian Lenz
"Das Linientreu war ja so rund, und olle Norbert war der Dompteur. Und dann kam ein Lied und dann kamen die aus der Ecke, so: Ein Punklied, dann kam die Punks aus ihrer Ecke. Dann so kamen die Psyches auf die Tanzfläche und dann ging das immer so rum."
DJ Westbam alias Maximilian Lenz
"Dann gab's ein Lied, nämlich von Talking Heads, Burning Down The House, das war die große Linientreu-Hymne. Da kamen dann aus allen Ecken alle und haben zusammen getanzt."
DJ Norbert alias Norbert Bode
"Du hast im Prinzip die Platte an Platte aneinander gespielt und du hast auf die Tanzfläche gespielt, dass die Tanzfläche voll bleibt, dass die Leute nicht abhauen. Dafür musstest du sorgen. Und zwischendurch natürlich auch mal ein Stück spielen, dass die Leute sich was zu trinken holen, vom Umsatz lebste. Aber eben nicht so, dass sie rausrennen."
DJ Westbam alias Maximilian Lenz
"Die ganz klassischen alten DJ-Tricks hier!"
Berlin. Das andere Berlin – die Stadt der Nacht. Seit Generationen wird hier getanzt. Machen Tanzlokale auf und wieder zu. Früher hießen sie Disco. Heute Club. Tine Fetz und Daniel Schneider haben ihnen ein wunderbares Buch gewidmet: 60 verschwundene Orte der Clubkultur, in Zeichnungen und Texten. Aber warum ist es wichtig, wo wir einmal tanzen waren?
Daniel Schneider, Autor
"Sie sind, glaube ich, sehr wichtig für die Sozialisation von vielen Menschen. Mit Musik in Berührung kommen, Tanzen, Partys, Drogen natürlich, spielt auch auf jeden Fall eine Rolle. Aber auch Leute kennenlernen, neue Ideen entwickeln. Und gleichzeitig gestalten die Clubs ja auch die Kultur der Stadt mit."
Tine Fetz‘ Zeichnungen sind genau genug, um Erinnerungen zu wecken. Und zugleich so abstrakt, dass sie der Fantasie Raum geben. Manchmal verirrt sich ein Krokodil hinein.
Tine Fetz, Illustratorin
"Ich habe immer irgendwelche surrealen Details noch mit eingebaut, auch ein bisschen. Also so, um damit zu spielen, dass es eben auch keine dokumentarische Arbeit ist. Also es geht nicht darum, genauso sah es aus, sondern das ist halt so ein irgendwie mythisch aufgeladener Ort gewesen."
Ein mythisch aufgeladener Ort in Ost-Berlin – das Cafe Nord, Schönhauser Allee.
Ronald Galenza, Autor
"Ich hatte mich mal verliebt in eine sehr hübsche junge Frau – da musste ich auch ins Cafe Nord gehen, was ja eine fast Nobeldisko war, mit Schlange vor der Tür. Da war auch schicker und auch natürlich andere Musik, das war die aktuelle Popmusik sozusagen, die wir ja damals strikt abgelehnt haben. Wir wollten ja Punk und New Wave sein."
Ronald Galenza verbrachte seine Nächte lieber hier – er war Kassetten-DJ auf der Insel der Jugend. "X-Mal Musik zur Zeit" hieß ihre Party-Reihe: Ronald legte zusammen mit einem Freund auf. Der Club-Leiter hatte sie angesprochen.
Ronald Galenza, Autor
"Der hat gesagt: Macht mal sonntags, da ist sowieso nichts los. Und es lief wie verrückt, sofort. Hier standen dann plötzlich 500 Leute vor der Insel der Jugend. Das sprach sich sehr schnell rum: Du kannst in Ostberlin in einen Club gehen und kannst da die Sex Pistols, The Clash, Nick Cave oder DAF "Tanz den Mussolini" - Das war ja vollkommen neu und anders. Das hatte einen Riesen-Sog."
Alle zwei Wochen ist Konzert – sonst: Disco. Die erste Underground-Disco Ost-Berlins! Komplett selbstorganisiert.
Ronald Galenza, Autor
"Das Übelste war natürlich hinterher immer sauber machen. Sah ja wirklich aus wie bei Frau Holle hinterher und es wurde ja noch geraucht in den Läden und das hat dann in der Regel keinen Spaß gemacht, lagen auch Scherben rum."
Tagsüber grau – nachts Pforten in eine andere Welt. Manchmal sogar ein anderes Leben. Das war das Metropol für Westbam: Anfang der Achtziger eine legendäre Disco, mit Lasershow – und einem neuen Sound. Das erste Mal: Unvergesslich.
DJ Westbam alias Maximilian Lenz
"Und ich so als kleiner Teenie komm jetzt rein, Ich weiß, ich bin da lang gegangen so, und dann gucke ich rum und dann läuft die ganze Zeit ein Beat und ich sage Wow, was geht denn bitte hier ab? Da ging schon die ganze Nacht ein Ding durch und er sagt, dass der Rhythmus da, da, da, da, da, da, da, das läuft jetzt die ganze Zeit. Es ist immer noch dieselbe Platte."
Der Sound, der bis heute die Berliner Clubs prägt: Damals fing er an. Clubgeschichte ist Kulturgeschichte. Erinnern wir uns der Orte, an denen wir getanzt haben! Es gibt kaum etwas Wichtigeres.
DJ Westbam alias Maximilian Lenz
"Das ist Menschheitsgeschichte. Vielleicht ist das sogar der Anfang der Menschheitsgeschichte. Geräusche erzeugen, sich dazu bewegen, sich als Gruppe dadurch zu definieren und sich als Gruppe zu feiern. Vielleicht geht da Kultur los."
Autor: Tim Evers