
-
Innerhalb von Wochen veränderte sich die weltoffene Metropole Berlin in eine gleichgeschaltete Stadt. Erstaunlich, wie schnell und unspektakulär das möglich war. Und die Menschen in Berlin? Was haben sie im Jahr in dem Hitler an die Macht kam gedacht? Regisseur Volker Heise setzt aus ihren unzähligen Tagebucheinträgen - wie aus Puzzleteilen - ein Bild zusammen, das uns das Jahr 1933 neu erleben lässt.
Diesen Kindern steht eine großartige automobile Zukunft bevor. Oder auch nicht. Vielleicht werden sie ihre Jugend nicht überleben. Krepiert auf irgendeinem Feld der Ehre, verbrannt im Bombenhagel auf Berlin.
Noch ist die Zukunft nicht entschieden. 1933 - Ein Film über ein Jahr. Nicht als historische Expertise, sondern als Mosaik der Echtzeit - aus Tagebüchern, Briefen, Aufzeichnungen. Geschichte? Ja! Doch die Vergangenheit ist nicht vergangen. Hier steckt man mitten drin.
Volker Heise, Regisseur
"1933 und die ganzen 12 Jahre sind etwas, dass uns bis heute in den Knochen steckt und diese Gesellschaft bestimmt. Das ist ein Stachel, der wird nie weg gehen, nie."
Willi Lindenborn, Arzt, Tagebucheintrag
"Die Nacht war vollständig ruhig. Ich hatte wider Erwarten fast gar nichts zu tun. Gegen Zehn wurde der frühere Sanitätsbeamte E. Eingeliefert. Er kam in gebückter Haltung und klagte über starke Schmerzen in der Apendix-Gegend. Wetter trocken, doch ziemlich kalt, kein Schnee."
Ende Januar türmt sich der Schnee meterhoch. Jeder dritte ist arbeitslos, hungert, friert. Es ist saukalt, 18 Grad unter Null. Gauleiter Goebbels ist heiß. Heiß auf ein neues Deutschland.
Joseph Goebbels, NSDAP-Gauleiter
"Mit Hitler gegessen, politisiert. Hitler, wie immer, fabelhaft."
Fünf Tage später wird der "fabelhafte" Hitler Reichskanzler. Die Demokratie schafft sich ab. "Sieg Heil!" Das Jahr nimmt seinen Lauf.
Hertha Nathorff, Ärztin, Tagebucheintrag
"Meine Patienten reden von nichts anderem. Viele sind erfüllt von Freude, viele machen besorgte Gesichter. Einig sind sich alle in den Worten: Nun wird es anders. Ich hören, wie sie an ihn glauben, glauben wollen, bereit zu dienen."
Volker Heise, Regisseur
"Hier gibt es nicht die Stunde, wo sich alles verändert. Es ist ein Prozess, es geht Tag für Tag. Und am Ende dieses Prozesses haben sie eine andere Welt als am Anfang des Prozesses. Aber während sie in dem Prozess sind, merken sie gar nicht so viel davon. In diese Diese Kapillaren der Geschichte, in diese kleinen Verzweigungen hinein zu gehen, das finde ich sehr spannend."
Joseph Goebbels, NSDAP-Gauleiter
"Wir machen gar kein Hehl daraus: der Rundfunk gehört uns. Niemandem sonst! Und den Rundfunk werden wir in den Dienst unserer Idee stellen."
Volker Heise, Regisseur
"Vor 90 Jahren ist Goebbels hier eingeritten. Und das ist ja auch erschreckend: die Mehrheit der Mitarbeiter hat gebeugt, ob das aus Druck oder aus Bequemlichkeit oder weil man Angst hatte, den Job zu verlieren. Oder was auch immer. Das ist auch so eine Frage, die sich mir gestellt hat. Wenn so etwas auf einen zukommt, wie verhält man sich dazu? Und das ist natürlich eine lebensentscheidende Frage. Immer wenn ich hier bin, muss ich schon dran denken, was hier mal war."
Hermann Göring
"Leute die Glocken, von Turm zu Turm…"
Glocken läuten, Göring tönt. Das Parlament ein Gruselkabinett. Beschlossen wird das Ermächtigungsgesetz. Verfassung adé. Grundrechte passé. Die Geburtsstunde des Führerstaats. Wer nicht folgt, wird verprügelt, weggesperrt.
Hermann Göring
"… im Donner der Rache, läutet die Toten aus ihrer Gruft, Deutschland erwache!"
Volker Heise, Regisseur
"Das Ermächtigungsgesetz ist im März. Hitler ist am 30 Januar erst an die Macht gekommen. Da liegen nicht mal zwei Monate dazwischen. Wenn man dann in die Dokumente geht oder in die Tagebücher, dann erschrickt einen die Rasanz, mit der das durchgeführt wurde schon. Auch wie wenig Widerstand geleistet wurde dagegen."
Postkarten vom Führer und auf Plakaten der Ruf der Stunde: "Deutsche! Wehrt euch!" 1. April - Boykotttag jüdischer Geschäfte. Alles Nicht-Arische wird aus der Gesellschaft gedrängt. Tag für Tag. Juden erhalten Berufsverbote. Auch die Ärztin Hertha Nathorff.
Hertha Nathorff, Ärztin, Tagebucheintrag
"Ein Brief an mich vom Magistrat Charlottenburg: "Sie werden gebeten, Ihre Tätigkeit als Leitende Ärztin der Frauen- und Beratungsstelle einzustellen." Aus! Herausgeworfen! Aus. Meine armen Frauen, wem werden sie nun in die Hände fallen?"
George A. Gorden, ehem. US-Botschafter
"Auf einer Konferenz der Kultusminister der Länder am 9. Mai in Berlin erörterte der Reichsinnenminister Dr. Frick die Grundsätze, nach denen die deutsche Jugend im Reich erzogen werden solle. Rassenhygiene müsse zum festen Bestandteil des Schulunterrichts werden. Die Vermischung von deutschem Blut mit dem anderer Rassen, insbesondere mit dem jüdischer und farbiger Rassen, müssen um jeden Preis verhindert werden."
Volker Heise, Regisseur
"Wie hängt Alltag und Ereignis zusammen. Normalität, die weiterläuft, die erst nach und nach gestört wird, und so ein politischer Einschlag. Und das finde ich am interessantesten, nicht immer nur die Brüche zu sehen, sondern auch die Kontinuität unter den Brüchen."
Berlin soll zur Welthauptstadt "Germania" werden. Die Hybris der Hitlers wird Deutschlands Untergang. Das Jahr 1933 legt die Schneise - in der Gleichzeitigkeit von Banalität und Barbarei.
Hertha Nathorff, Ärztin, Tagebucheintrag
"Unser 10-jähriger Hochzeitstag. Unser Tisch ist geschmückt mit Zartrosa-Chrysanthemen wie einst. "Auf die nächsten zehn Jahre", sagt mein Mann. Und ich fühle mein Herz erbeben. Sie haben mir meine ruhige Sicherheit, den Frieden meines Hauses genommen. Sie haben mich zu erniedrigen versucht. Sie haben mir den besten Teil meiner Arbeit genommen."
Autor: Lutz Pehnert