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Der Mann war Reichsbahner und er war schweigsam. So schweigsam, dass er seiner Familie nie erzählte, dass er in den Jahren 1944 und 45 zwei Frauen versteckte. Eine Mutter und ihre Tochter. Zwei Jüdinnen. Eine Ausstellung im Deutschen Technikmuseum erzählt nun die Geschichte von Fritz Kittel, begibt sich mit seiner Familie und der Familie der Geretteten auf Spurensuche.
Sein Name fällt immer wieder in Familiengesprächen als Esther Dischereit noch ein Kind ist. Sie ist die jüngere Tochter der Frau die Fritz Kittel rettet. Sie wird später Schriftstellerin und will wissen, was damals genau geschah, mit ihrer Mutter Hella, ihrer Schwester Hannelore und dem Reichbahnarbeiter.
Esther Dischereit, Schriftstellerin
"Das hat mich dann weiter begleitet, diese Vorstellung ich müsse da etwas tun, ich müsse da etwas vollenden, ich müsse ihm das sagen, ich müsse ihm auch danken."
Sein Mut lässt Esther Dischereit nicht los. Mutter und Schwester überleben die NS-Zeit, weil Fritz Kittel alles riskierte.
Susanne Kill, Historikerin Deutsche Bundesbahn Archiv
"Das ist unsere erste Schublade mit dem Album, was in Deiner Familie überlebte."
Esther Dischereit versuchte ihre Familiengeschichte und die von Fritz Kittel gemeinsam mit der Historikerin Susanne Kill vom Archiv der Deutschen Bahn zu rekonstruieren. Jetzt wird eine Ausstellung im Deutschen Technikmuseum eröffnet. Esther Dischereit hat dafür Texte geschrieben. In der Ausstellungsschublade: Ein Foto am Anhalter Bahnhof in Berlin zeigt die Familie von Esther Dischereit noch geeint. 1942 taucht Mutter Hella mit der Tochter in den Untergrund ab. Die Familie kann nicht zusammenbleiben.
Ehemann Felix und auch Hellas Großeltern gehen getrennte Wege, um zu überleben. 1943 muss Mutter Hella mit der Tochter aus Berlin flüchten: Nicht lange können sie bei einer jüdischen Familie in Sorau wohnen. Dort in der Niederlausitz treffen sie dann Fritz Kittel.
Esther Dischereit, Schriftstellerin
"Ich kann nicht beantworten, warum Fritz Kittel meine Mutter kannte, das ist einfach nicht zu erklären, kannte er sie weil jemand aus Berlin, der sich mit den Fluchtadressen vielleicht deckt."
Vieles nicht mehr aufzuklären.
Susanne Kill, Historikerin Deutsche Bundesbahn Archiv
"Sein Meldebogen ist hier, Entnazifizierungsbogen, wo wir nicht umsonst hingeschrieben haben, dass er überall nur nein geschrieben hat und kein Parteimitglied gewesen ist und in keinerlei NSDA-Organisation, was ausgesprochen selten ist für die Zeit."
Er genießt großes Vertrauen bei Mutter Hella. Er kennt ihre Fluchtadressen, trägt sie in sein Notizbuch ein. Unglaublich: Fritz Kittel heiratet sogar Hella, die sich Hella Radecke nennt und gibt Hannelore als seine Tochter aus. Als 1945 die Sowjetische Armee im Anmarsch ist, wird er nach Heringen in Hessen abkommandiert. Er überredet Hella mitzugehen.
Esther Dischereit, Schriftstellerin
"Dann kommt sie an in Heringen und das nächste Dokument, was wir finden, ist, dass er ihr einen Reichsbahnausweis ausstellen lässt, in dem drinsteht, dass sie seine Frau sei."
Nach Kriegsende gehen Hella und Fritz Kittel getrennte Wege. Sie werden sich nie wiedersehen.
Esther Dischereit, Schriftstellerin
"Es gibt dieses Schreiben, in dem meine Mutter bescheinigt, gerichtet an Herrn Kittel, dass sie in Sorau die Scheidungsurkunde gesehen habe. Damit ist Herr Kittel offiziell kein verheirateter Mann."
So kann Fritz Kittel nach dem Krieg seine neue Familie gründen. Esther Dischereit trifft seine Kinder und Enkel, die von der Rettungsaktion gar nichts wissen.
Esther Dischereit, Schriftstellerin
"Hat er denn was erzählt, was er hier vor 45 gemacht hat?"
Ernestine Dickau, Tochter von Fritz Kittel
"Leider nicht. Leider nicht. Er hat da gar nichts drüber erzählt."
Esther Dischereit, Schriftstellerin
"Sie wussten gar nichts, das hat sich auch erst gefestigt, dass das stimmt, was ich sage, nachdem die Tochter von Fritz Kittel, Ernestine Dickau, nochmal in den hinterlassenen Sachen ihres Vaters geschaut hat."
Gemeinsam sichten beide Familien alte Dokumente und Filme.
"Das ist der Fritz."
- "Das ist mein Papa!"
Wer war Fritz Kittel?
Esther Dischereit, Schriftstellerin
"Herr Kittel ist jemand der vollkommen gewissermaßen ohne Worte, ohne Sprache ohne Dinge, die er hinterließ, tat, was er für richtig hielt."
Autorin: Margarete Kreuzer