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Am 24. Februar, also vor fast genau einem Jahr, überfiel Russland die Ukraine. In den ersten Wochen des Krieges haben ukrainische Kreative ein Videotagebuch für uns gefilmt. Wie ist es Lisa, Asia, Pawel und den anderen seitdem ergangen? Was machen Sie heute? Wir haben Sie noch einmal besucht.
Der Krieg. Ungefiltert, aus nächster Nähe, in Fotos und Videos, die uns ukrainische Kreative in den ersten Monaten der russischen Invasion schicken. Ihr Leben voller Leid und Ungewissheit. Das Videotagebuch beginnt Anfang März 2022. Kuratorin Liza German ist auf der Flucht.
Liza German, Kuratorin
12.03.2022, zwischen Kyiv und Lwiw
"Unser Wunsch, in Kyiv zu bleiben und unser Kind in Kyiv zu bekommen, hat sich über Nacht geändert."
Asia Bazdyrieva, Künstlerin
09.04.2022, Krementschuk
"Vor ein paar Tagen schlug eine Rakete in das Öl-Depot ein, das sich ganz in der Nähe meines Hauses befindet, in dem Wohnort meiner Familie."
Pavlo Yurov, Regisseur
25.04.2022 - Rubischne
"Das hier ist das "Theater der russischen Kultur". Wir waren in einem Theater, wo sich die Menschen versteckt hatten. In dem Moment, als wir ins Theater hineingegangen sind, begann ein Artilleriebeschuss. Ein Geschoss traf das Nebengebäude. Die Wände wackelten. Wir wussten nicht, wo das Geschoss als nächstes einschlagen würde. Ich hatte große Angst."
Vor dem Krieg war Pavlo Yurov ein Theaterregisseur. Seit Kriegsbeginn begibt er sich täglich in Gefahr als Kriegsreporter. Es ist sein Wunsch, das Unfassbare mit eigenen Augen zu sehen. Dieses Video schickt er uns vor einigen Tagen aus der Ost-Ukraine.
Pavlo Yurov, Regisseur
02.02.2023, Kramatorsk
"Ich befinde mich seit gestern Abend in Kramatorsk. In diesem Haus wollten wir eigentlich übernachten. Die Wohnungsbesitzerin hat uns hier die Schlüssel übergeben."
Pavlo ist müde geworden, wie eigentlich fast alle Menschen in der Ukraine.
Pavlo Yurov, Regisseur
08.02.2023 - Kyiv
"Nach einem Jahr, in dem ich all diese Ereignisse von Leid, Tod und Zerstörung gesehen habe, wird es immer schwerer neue Perspektiven zu finden. Es wird zu einer gewissen Kriegsroutine. Was mir vor einem Jahr vielleicht noch Angst gemacht hat, erscheint jetzt unbedeutend und fast nicht mehr wahrnehmbar."
Im Februar 2022 arbeitet Liza German in Kyiv am Pavillon der Ukraine für die Biennale in Venedig. Sie schafft es, ihre Arbeit auf der Flucht zu Ende zu bringen.
Liza German, Kuratorin:
23.04.2022 - Venedig
"Hätte mir jemand vor einem Jahr gesagt, dass es einen Krieg in der Ukraine geben würde und dass ich zwei Monate nach Kriegsbeginn nach Venedig reisen würde, hätte ich die Person für verrückt erklärt."
Dabei wollte sie eigentlich in Kyiv bleiben, wird von dem Angriff überrascht.
Liza German, Kuratorin:
04.03.2022, Kyiv
"Am 4. April 2022 bin ich von Kyiv aufgebrochen, als mir klar wurde, dass es dort zu gefährlich ist, ein Kind zur Welt zu bringen."
Liza German, Kuratorin:
20.04.2022 Weg nach Venedig
"Ich habe das Gefühl, nur noch unterwegs zu sein. Ich habe gelernt, mein Kind auf Tankstellen zu versorgen. Es schläft wunderbar im Auto."
Diese Woche Sonntag meldet sich Liza bei uns aus Tallinn, Estland, vor ihrem Rückflug nach Wien, wo sie Asyl erhalten hat.
Liza German, Kuratorin:
05.02.2023 Tallinn
"Obwohl in Wien meine Familie und meine Wohnung sind, habe ich noch immer kein richtiges Zuhause gefunden. Dieses warme Gefühl, nach Hause nach einer Reise zurückzukehren, habe ich einfach nicht mehr."
"Ich hoffe sehr, dass wir im Frühjahr nach Kyiv zurückkehren werden, um den Rest der Familie, die Freunde und alles, was ich so sehr vermisse, wieder zu sehen."
Asia Bazdareva ist im letzten Herbst nach Berlin gekommen, arbeitet hier an ihrer Doktorarbeit. Sie irritiert das Unverständnis vieler, was der Krieg für die Menschen in der Ukraine bedeutet. Auf der Transmediale spricht sie von ihren Erfahrungen.
Asia Bazdareva, Künstlerin:
03.02.2023 Berlin
"Als ich auf dem Weg in die Ukraine war, fragte mich jemand, ob ich dorthin fliegen würde. Ich verdrehte die Augen. Was ist das für eine Frage? Die Ukraine ist im Krieg. Die Flughäfen wurden zerstört. Darüber hinaus werden alle fliegenden Objekte sofort abgeschossen."
Asia Bazdareva, Künstlerin:
"Ich würde mich wesentlich besser fühlen, wenn mehr über den Krieg in der Ukraine und über die Rolle der europäischen Staaten, einschließlich Deutschlands, in diesem Konflikt diskutiert würde."
Ein Jahr Krieg in der Ukraine. Ein Jahr Angst und Flucht. Die Leben, die Pläne, die Arbeit der Kreativen in unserem Videotagebuch sind aus der Bahn geworfen. Das Ende ist nicht in Sicht.
Autor: Mitya Churikov