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Vor einem Jahr machten Archäologen am Berliner Molkenmarkt einen sensationellen Fund: Sie legten einen 800 Jahre alten Holzbohlendamm frei - vermutlich die erste Straße Berlins. 70 m lang, 6 m breit und zweispurig. Unter einer feuchten Schicht aus Lehm und Torf hatte sich dieses frühe Zeugnis Berliner Geschichte erhalten. Die Experten rätseln noch, warum dieser Damm so gut erhalten ist und was genau damit geschah. Da das Holz an der Luft innerhalb von 48 Stunden kollabieren würde, wird es seit einem Jahr von einem Archäologen-Team gewässert, konserviert und irgendwann im Museum für Vor- und Frühgeschichte der Öffentlichkeit präsentiert.
Acht Jahrhunderte Berliner Geschichte eingeschlossen in einer Unterwasserwelt. Der Holzbohlendamm vom Molkenmarkt – nur in solch einem Wasserbad kann er vor dem Zerfall geschützt werden.
Philipp Schmidt-Reimann, Restaurator
"Es fühlt sich an wie ein Schwamm. Es ist altes Holz. Das ist 800 Jahre alt, hat im Boden gelegen und Mikrobakterien haben die Zellulose im Holz verstoffwechselt. Das heißt, es sieht zwar intakt aus, aber das liegt im Grunde nur daran, dass das Wasser, was da noch enthalten ist, das Holz in seinem ursprünglichen Volumen hält. Aber wenn man draufdrückt, ist es eben schon stark geschwächt."
In Friedrichshagen musste eigens für diesen Schatz eine Halle mit riesigen Wasserbädern eingerichtet werden. Restaurator Philipp Schmidt-Reimann ist bis heute fasziniert von dem Fund.
Philipp Schmidt-Reimann, Restaurator
"Als ich ihn das erste Mal gesehen habe auf der Baustelle, dachte ich: Wow, das ist ja unglaublich. Also eine unglaublich massive Konstruktion in der Mitte Berlins. Toll. Und der zweite Gedanke, der eigentlich relativ schnell, relativ schnell danach wieder gleichzeitig aufkeimt, war der Respekt davor: Wie geht es denn damit jetzt weiter?"
Wie hat dieser Damm 800 Jahre überlebt? Er lag im Wasser: Im Grundwasser, darüber eine Lehmschicht. An der Holzoberfläche beginnen Archäologen heute zu lesen wie in einem Buch.
Philipp Schmidt-Reimann, Restaurator
"Hier sind eben noch Bearbeitungsspuren, eventuell auch Nutzungsspuren ablesbar. Deshalb ist es so wichtig, dass gerade diese oberen Deckbohlen wirklich gut erhalten bleiben, damit man eben zukünftig auch solche Fragen stellen und anhand der Original-Funde eben beantworten kann."
Vor einem Jahr im Januar stießen die Archäologen auf den Holzbohlendamm. Über 65 Meter lang und sechs Meter breit ist die Konstruktion. Was Berlins Landesarchäologe Matthias Wemhoff besonders fasziniert: Das Holz des Bohlendamms ist älter als Berlins erste urkundliche Erwähnung: Das Leben am Molkenmarkt begann womöglich schon im 12. Jahrhundert.
Prof. Matthias Wemhoff, Mittelalterarchäologe, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin
"In direkter Nachbarschaft gibt es Grundstücke in der Zeit, da wohnen Menschen, wohnen Kaufleute, wohnen auch Handwerker. Das ist, glaube ich, alles nicht so stark getrennt, sondern es ist ein relativ dicht belebtes Viertel. Auf der anderen Seite zur Spree hin, kann ich mir auch vorstellen, dass es nicht so sehr eine Wohnnutzung ist, sondern tatsächlich eher Lagerhäuser, diese Umschlagplätze, die da sind. Und da kommen dann natürlich ganz viele Leute hin, die am Handel beteiligt sind oder die für die Händler arbeiten, oder die etwas kaufen wollen. Also ich stell' mir das schon ziemlich lebendig an dieser Stelle vor."
Anfang Dezember mussten die Holzbohlen aus dem Boden gesägt werden, um den bereits verlegten Gasleitungen Platz zu machen und bevor der Frost das Holz zerstören konnte. Nur ein Teilstück von sechs mal sechs Metern ließ sich so retten. Das Wichtigste: Es muss feucht bleiben – ansonsten würde es in wenigen Stunden in sich zusammenfallen. Der Restaurator erklärt was das bedeuten würde und wie man das verhindert.
Philipp Schmidt-Reimann, Restaurator
"Das Holz ist kollabiert und dieser Zustand ist irreversibel, das heißt, er kann nicht zurückgeführt werden. Und was man im nächsten Fall eben sieht, ist dieses Rundholz, ein Abschnitt davon ist mit einem Kunstwachs gefestigt und anschließend vakuumgefriergetrocknet, und als drittes sieht man eben, wenn dieses Kunstharz dann oberflächlich entfernt worden ist, so sieht dann das konservierte Rundholz in dem Fall aus.“
Und genau so soll auch der Bohlendamm konserviert werden. Das kann bis zu neun Jahre dauern. Bisher fanden die Forscher kaum Abnutzungsspuren. Sie vermuten: Der Damm wurde gleich nach der Errichtung verschüttet. Wenn das Holz später getrocknet und versiegelt ist, könnte es uns erzählen wie hier, in Berlins Mitte, einst gelebt wurde.
Prof. Matthias Wemhoff
"Man muss sich mittelalterliche Straßenbilder einfach viel lebendiger vorstellen, als das heute der Fall ist. Gut, die Straße wird vielleicht vom Auto dominiert, aber es sind wenig Menschen da. Damals ist es eher umgekehrt. Es gibt ein paar Karren, es gibt ein paar Pferde, die da unterwegs sind, und vielleicht anderes Vieh, was da auch herumgetrieben wird. Und ansonsten sind da unglaublich viele Menschen, die ihren täglichen Verrichtungen da auf engem Raum nachgehen. Und natürlich eine Unzahl an Kindern, die da zwischendurch hin und her wuselt."
Damit der Holzbohlendamm vom Berliner Molkenmarkt uns seine Geschichte bald preisgeben kann, sorgt Philipp Schmidt-Reimann im Moment noch dafür, dass das kostbare Holz einfach nur nass bleibt.
Autorin: Vera Drude