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Kirill Serebrennikow - weltweit bekannter Film- und Theaterregisseur aus Russland - hat trotz aller Repressalien bis April vorigen Jahres in seiner Heimat ausgehalten. Seine Inszenierungen waren von Moskau, über Wien, München und Berlin bis nach Avignon zu sehen. Seine Filme liefen in Cannes. Zuletzt inszenierte er aus seiner Wohnung in Moskau heraus, unter Hausarrest stehend, mit Fussfessel, per Videoschalte an Theatern weltweit. Aber kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verließ er seine Heimat und lebt jetzt hier in Berlin. Zur Zeit probt er an der Komischen Oper Mozarts "Cosi fan Tutte".
Es war die bitterste Zeit im Leben des Kirill Serebrennikow – verhaftet, vorgeführt, verurteilt. Wegen angeblich veruntreuter Gelder. Wenn Russlands Machthabern nichts mehr einfällt, greifen sie zu diesem Mittel. Hausarrest – 20 Monate lang.
Seit einem Jahr lebt Kirill Serebrennikow in Berlin – und inszeniert jetzt "Cosi fan tutte" – Mozarts Liebesreigen mit Happy End. Aus dem alten Neapel ist ein Fitnessstudio geworden – per Messenger zeigt man sich, wie schön man ist.
Kirill Serebrennikow, Regisseur
"Mozart ist ein sehr zeitgenössischer Komponist und die Menschen in seiner Welt sind uns sehr vertraut und sehr ähnlich. Die Jahrhunderte vergehen aber die Leidenschaften bleiben dieselben."
Die Inszenierung ist eine Koproduktion mit dem Opernhaus in Zürich – dort hat Kirill Serebrennikow "Cosi fan tutte" bereits auf die Bühne gebracht – damals aus dem Hausarrest heraus. Per Videoschalte – sein Assistent vermittelte das Takt für Takt ausgearbeitete Konzept dem Team vor Ort. Für den Regisseur war die Arbeit ein Halt in finsteren Zeiten.
Kirill Serebrennikow, Regisseur
"Mozart und die Arbeit für Zürich haben mich überleben lassen. Wenn Du in Deiner Wohnung sitzt, eingesperrt auf 40 Quadratmetern… Wenn Du dann Deine Zeit mit Mozart verbringst, ist das besser als in depressiven Gedanken zu versinken."
In Mozarts Oper ziehen die beiden Helden nur zum Schein in den Krieg – ein Verwirrspiel, um die Treue ihrer Frauen zu testen. Kirill Serebrennikow lässt die beiden allerdings in seiner Inszenierung tatsächlich in einem Krieg sterben – an diesem Punkt hat die Realität die Inszenierung überholt.
Kirill Serebrennikow, Regisseur
"Dieser Krieg ist selbstmörderisch. Er macht die Ukraine stärker, die Nation steht geschlossen zusammen. Aber für Russland ist es Selbstmord, ein Sprung in die Dunkelheit."
Das Gogol-Center in Moskau war zehn Jahre lang Serebrennikows künstlerische Heimat – er war der Leiter und der Theaterstar. Ein Ort für provokante, experimentelle Inszenierungen und ein Raum des freien Austauschs – im Sommer ist das Theater geschlossen worden – noch so ein Sprung in die Dunkelheit. Das einstige Gogol-Team ist nun in ganz Europa verteilt. Kirill Serebrennikow hat Moskau in dem Moment verlassen, in dem er seinen Pass zurückbekam – nun lebt er in Berlin, im Exil.
Kirill Serebrennikow, Regisseur
"Ich vermisse meinen Vater, der noch in Russland ist. Ich spreche jeden Tag mit ihm. Er ist 90 Jahre alt. Er lebt in der Nähe der Front. Und er hat ziemlich viel Angst."
Als Filmregisseur hat Serebrennikow sich einen Stammplatz beim Festival in Cannes erarbeitet. Aktuell läuft "Petrow hat Fieber" in den deutschen Kinos – angesiedelt in einem postsowjetischen Russland, in dem nie die Sonne scheint und jederzeit die Sicherungen durchbrennen können.
Kirill Serebrennikow, Regisseur
"Es geht um das Unterbewusstsein Russlands, der russischen Gesellschaft – die nicht mehr weiß, wo oben und unten ist, wo links und rechts. Eine Gesellschaft, die sich verloren fühlt."
Das Ergebnis davon ist wohl die russische Gegenwart – und nach Putin, kommt der nächste Putin, so funktioniert das System, sagt Serebrennikow. Es bricht ihm das Herz – und gleichzeitig will er nach vorne blicken. Die beiden Witwen in "Cosi fan tutte" schickt er zur Psychotherapie – und selbst den Krieg kann er in Mozarts Oper integrieren.
Kirill Serebrennikow, Regisseur
"Ich wollte keine dunkle Geschichte darüber machen, was Krieg heute wirklich bedeutet. Das Leben um uns herum wird den Zuschauern verdeutlichen, was wir meinen."
"Soave siá Il vento" – sanft sei der Wind, singen die beiden, wenn ihre Männer in den Krieg ziehen. Da ist der zeitgenössische Mozart dann doch beneidenswert unaktuell.
Autor: Steffen Prell