
-
Berlin war neben Paris und Wien ein Hauptschauplatz der europäischen Revolution von 1848. Der Historiker Rüdiger Hachtmann schildert die dramatischen Ereignisse des Revolutionsjahres und ordnet sie in die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenhänge ein. Eingebettet in den Kontext der Ereignisse im übrigen Deutschland und Europa entsteht weit mehr als eine Berliner Lokalgeschichte der Revolution.
Und sei das Wetter auch noch so garstig – diesen Ort will der Historiker Rüdiger Hachtmann uns unbedingt zeigen: den Friedhof der Märzgefallenen im Volkspark Friedrichshain. Fast 300 Menschen sind damals, 1848, bei den Barrikadenkämpfen ums Leben gekommen. Zum Beispiel Hermann Schulz, mit gerade 15 Jahren.
Rüdiger Hachtmann, Historiker
"Es zeigt in ganz starkem Maße, dass es vor allem Menschen aus der armen Bevölkerung gewesen sind und Jugendliche auch gewesen sind, die sich hier für demokratische Freiheiten und soziale Rechte auf den Barrikaden eingesetzt haben. Ihr Leben riskiert haben. Es macht deutlich, dass die Revolution von 1848 auch so etwas wie eine Jugendrebellion gewesen ist."
Am 18. März 1848 muss das Wetter übrigens frühlingshaft mild gewesen sein. Im Ephraimpalais hat Andreas Teltow Dokumente aus der Zeit der Märzrevolution versammelt. Karikaturen waren in Preußen vor der Revolution durchaus verbreitet – aber viele waren geschmuggelt, zum Beispiel aus Sachsen.
Andreas Teltow, Grafische Sammlung Stadtmuseum Berlin
"Dann haben wir hier ein sehr drastisches Blatt, das den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. in einer nicht sehr vorteilhaften Position zeigt, das ist von 1847 und ist wahrscheinlich nicht in Berlin gedruckt."
Rüdiger Hachtmann, Historiker
"Denn in Staaten wie Sachsen oder auch den südwestdeutschen Staaten war die Zensur lange nicht so scharf. Was man hier schön sieht, ist die Arroganz, dieses Friedrich Wilhelm IV., nach dem Motto "Ihr kotzt mich alle an" und hier unten im Grunde das ganze Spektrum der Revolution und Reformbewegung."
Der "Vormärz" – nicht nur in Preußen braut sich eine revolutionäre Stimmung zusammen. Doch Friedrich Wilhelm der Vierte schaltet auf Durchzug.
Andreas Teltow, Grafische Sammlung Stadtmuseum Berlin
"Man sieht hier nach wie vor: Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen. Das ist der große Leitspruch Friedrich Wilhelm IV. – die Gottesgläubigkeit und die Gottgemachtheit der Monarchie, das sieht man hier sehr deutlich."
Rüdiger Hachtmann, Historiker
"Die Berliner, die hatten vom Obrigkeitsstaat die Schnauze voll. Sie wollten sich endlich frei bewegen, frei äußern können. Und was man für die Revolutionsmonate auch feststellen kann: sie hatten einfach richtige Lust zu leben entwickelt."
Endlich ist die Schlossattrappe mal zu etwas nutze – man kann sich viel besser vorstellen, wie das revolutionäre Geschehen seinen Lauf nahm, am 18. März…
Rüdiger Hachtmann, Historiker
"Kurz vor 14 Uhr war dieser Platz proppenstoppenvoll, über 10000 Leute auf diesem eigentlich kleinen, überschaubaren Areal. Viele wurden hier zum Schlossportal gedrängt, sahen innerhalb des Schlosses zigtausend Soldaten."
Von links und rechts drängt das Militär, dann fallen zwei Schüsse … und es geht los.
Rüdiger Hachtmann, Historiker
"Daraufhin sind die Menschen in diese Richtung geflohen. Zwei Stunden hat sich dann erstmal nichts getan, eine gespenstische Stille in der Stadt. Überall begann man Barrikaden aufzubauen."
"Die Stimmung im Volke ist eine dumpfe, gewitterschwüle" schreibt ein Journalist. Und sie entlädt sich. Häuserkampf – in dieser Nacht ist fast die ganze Stadt auf den Beinen. Ein Blutbad mit fast 300 Toten. Am nächsten Morgen werden die Truppen abgezogen.
Rüdiger Hachtmann, Historiker
"1848 ist es so gewesen, dass dieser provinzielle Mief, der Berlin angehaftet hat, quasi weggepustet, vertrieben wurde."
Ein Schatz im Ephraimpalais ist dieses Aquarell des Berliner Stadtmalers Eduard Gaertner – eine Barrikade ohne Kämpfer – gezeichnet am frühen Morgen um drei.
Andreas Teltow, Grafische Sammlung Stadtmuseum Berlin
"Ein politisches Ereignis, das ja sonst in seinen Werken nirgendwo hat. Also, es ist wirklich eine ganz große Ausnahme in seinem Werk. Und man merkt, dass Gaertner, er war ja ein junger Mensch, von diesem Ereignis sehr beeinflusst wurde. Und wir nehmen an, dass er es auch vor Ort wahrscheinlich auch skizziert hat."
Rüdiger Hachtmann, Historiker
"Was man hier sehr schön sieht, dass das ne ganz frühe Barrikade ist – die ist nämlich schlecht gebaut, ums mal platt zu sagen. Die müsste eigentlich etwas zurückgesetzt sein, dann hätten nämlich oben von den Dächern andere Barrikadenkämpfer mit Dachziegeln das anrückende Militär bombardieren können."
Das haben die Berlinerinnen und Berliner allerdings schnell gelernt. Die Märzrevolution ist auch ein frühes Medienereignis – neue Drucktechnik erlaubt höhere Auflagen - und Bilder! Auch international blickt man nach Berlin – wie in dieser Zeitung aus London.
Rüdiger Hachtmann, Historiker
"Für uns hier in Berlin ist wichtig, dass Berlin neben Paris und Wien die dritte Revolutionsmetropole war. Und dass, was hier in Berlin passierte, auch international, übrigens nicht nur in Europa sondern beispielweise auch in den USA, nur mit zeitlicher Verzögerung, sehr genau und aufmerksam beobachtet wurde."
Noch eine Karikatur – und wieder wird gespuckt. Der deutsche Michel gibt seine gerade gewonnenen Rechte wieder von sich. Nach ein paar Monaten ist Schluss mit dem demokratischen Aufbruch. Aber er hinterlässt Spuren.
Rüdiger Hachtmann, Historiker
"Ein ganz zentraler Aspekt ist, dass Demokratie nicht einfach verwaltet werden kann, dass Demokratie nicht einfach nur da ist, sondern, dass sie immer wieder von neuem und gerade auch von unten erkämpft werden muss."
Gerade heute, wo manche bei Demonstrationen wieder die alte Reichsflagge schwenken, sollten wir wieder einmal an Hermann Schulz denken.
Autor: Steffen Prell