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Wenn die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli auftritt, sich äußert, an politischen Diskussionen teilnimmt, geht es sofort los. Sie wird mit Hass überzogen, vor allem, aber nicht nur in den sozialen Netzwerken. Oft geht es gar nicht darum, wie oder wozu sie sich äußert. Geht es nach dem Willen der Hater, soll Sawsan Chebli in ihrem Land nichts zu sagen haben - weil sie Muslima ist, weil ihre Eltern nicht in Deutschland geboren wurden, weil sie erfolgreich ist, weil sie eine Frau ist. In ihrem Buch "Laut" erzählt sie, was die Gewalt mit ihr macht und warum sie trotzdem weiter soziale Medien nutzt.
Sawsan Chebli, SPD-Politikerin und Autorin
"Das ist schon brutal. Eine Kombination aus Rassismus, Sexismus."Kleines Flüchtlingsmädchen, du hast doch schon was erreicht in Deutschland, jetzt reicht es auch mal. Wir haben Dir doch schon alles ermöglicht in diesem Land. Bleib mal bitte da, wo du mal warst: arm.""
Wegen vieler solcher und noch schlimmerer Hasskommentare hat Sawsan Chebli ihren Facebook Account tatsächlich mittlerweile gelöscht – dort hatten sich zu viele rechte Trolle versammelt, also rechte Medienaktivisten, die im Kollektiv explizit auf jeden ihrer Post reagierten.
Sawsan Chebli bleibt trotzdem laut, wie sie in ihrem gleichnamigen Buch erzählt.
Sawsan Chebli, SPD-Politikerin und Autorin
"Mein Leben vor Twitter war auf jeden Fall mindestens sicherer, ruhiger."
Und obwohl sie dort immer wieder ein Ziel für Hass ist, weil sie eine Frau ist und Muslima, ist und bleibt Twitter ihr Medium:
Sawsan Chebli, SPD-Politikerin und Autorin
"Weil ich in den Jahren gelernt habe, dass Twitter mir eine Plattform schenkt, die ich sonst nicht hätte, um politisch mitzumischen. Um auch gehört zu werden bei Themen, die mir am Herzen liegen, wie eine diverse plurale Gesellschaft wie internationale Politik, das ist für mich ein Kapital, das ich nutze, das ich nicht weggeben möchte, weil ich Hass erlebe."
Sawsan Chebli ist in Berlin geboren, in Moabit aufgewachsen. Sie ist das 12. von 13 Kindern einer palästinensischen Familie, geflohen aus einem Flüchtlingscamp im Libanon. Sie waren lange staatenlos, dann nur geduldet. Mit 15 erst bekam sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Zweimal wurde ihr Vater abgeschoben:
Sawsan Chebli, SPD-Politikerin und Autorin
"Die Tatsache, dass mein Vater abgeschoben wurde und nicht nur einmal, sondern zweimal, obwohl wir hier lebten als Familie, das hat mich so geprägt. Vor allem hat mich geprägt, dass ich nichts dagegen tun konnte, ich hatte gegenüber dem System keine Macht, ich hatte keine Stimme, keiner hat mich gehört. Das hat mich so politisiert, das hat mir auf der anderen Seite gezeigt, wie wichtig es ist meiner Stimme Gehör zu verschaffen."
Sawsan Chebli, SPD-Politikerin und Autorin
"Ich sehe ja heute, wenn Familien abgeschoben werden, was sich da entwickelt im Netz, und inzwischen ist es ja so, dass da Druck entsteht im Netz, der dazu führt, das Politik ihre Entscheidung revidiert. Vielleicht wäre das damals bei meinem Vater auch so gewesen, wenn wir soziale Medien gehabt hätten, vielleicht wäre er nicht abgeschoben worden, wenn der Druck groß gewesen wäre in den sozialen Medien, das gab es aber nicht, wir waren machtlos und ohnmächtig."
Deswegen geht Sawsan Chebli in die Politik: Sie arbeitet im Berliner Innensenat, wird Sprecherin vom damaligen Außenminister Steinmeier. 2016 holt Michael Müller sie wieder in den Senat: Die Sozialdemokratin wird Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales. Erst da beginnt sie ihre Themen auch in den sozialen Medien zu posten, erlebt erstmals einen Shitstorm, aber auch Solidarität und lernt zum Beispiel die Feministin Teresa Bücker kennen – heute eine Freundin auch im realen Leben:
Sawsan Chebli, SPD-Politikerin und Autorin
"Was mir halt hilft gerade zu stehen und auch weitermachen, sind eben diese positiven Reaktionen, der Rückhalt, die Solidarität. Teresa Bücker, die sich solidarisch gezeigt hat, in einem Moment, in dem es mir wirklich nicht gut ging. Und das war einer meiner ersten Shitstorms dieser Sexismus-Shitstorm. Und ich wusste überhaupt nicht, wie ich damit umgehen soll, das war wahnsinnig wertvoll."
Auch die CSU Politikerin Dorothee Bär unterstützt sie.
Heute treffen sich die Frauen regelmäßig – haben ein Netzwerk gegründet. Sawsan Chebli teilt die Fotos auf Twitter.
In ihrem Buch geht es aber keineswegs darum, die brutalen Seiten der sozialen Medien kleinzureden. Im Gegenteil. Der Mord an dem Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zeigt, so Chebli, das Hass im Netz töten kann. Sie selbst wurde auch schon angegriffen. Sawsan Chebli weiß, dass digitale Gewalt auch zu realer Gewalt führen kann.
Sawsan Chebli, SPD-Politikerin und Autorin
"Ich frag mich, was noch passieren muss, damit die Leute keinen Unterschied mehr machen zwischen offline und online. Ich meine, wenn Sie sehen, dass ein Mensch auf der Straße zusammengeschlagen wird, rufen Sie mindestens die Polizei. Und wenn sie nicht die Polizei rufen, machen sie sich strafbar, das ist unterlassende Hilfeleistung. Aber im Netz beobachten wir, wie jeden Tag Menschen zusammengeschlagen werden und schweigen, und das kann nicht sein. Dafür sind die sozialen Medien einfach zu wichtig."
Ihr Buch "Laut" ist also auch ein Appel – sich nicht aus den sozialen Medien zu verabschieden – sondern sie ernst zu nehmen und sie nicht den Demokratiefeinden zu überlassen.
Autorin: Nathalie Daiber