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Die Bücher von Bestsellerautor Robert Seethaler haben ein ganz eigenen Ton: still, klar, tiefgründig. In seinem neuen Roman geht es um die Menschen in einem Café in Wien in den 60er und 70er Jahren. Es ist vielleicht überraschend, dass diese Wiener Welt auch in Berlin entstanden ist. Wir haben Robert Seethaler in Kreuzberg getroffen.
Wien, 1966. Es herrscht Aufbruchstimmung. Abseits der prunkvollen Innenstadt steht im 2. Gemeindebezirk das Riesenrad auf dem Prater. Von hier hat man einen Blick über die Stadt, in der die Trümmer der Vergangenheit noch nicht ganz abgetragen sind.
Robert Seethaler, Autor
"Das war Wien damals, das war eine graue Stadt. Und der zweite Bezirk, wo diese Geschichte spielt, insbesondere, das war der Arbeiterbezirk, das war der Arme Leute Bezirk. Ich selbst bin im zehnten Bezirk aufgewachsen aber meine Großeltern und meine Eltern kamen aus dem zweiten. Die waren aus einer Vertriebenenfamilie. Großmutter war Tellerwäscherin, der Großvater war asphaltierer, also Straßenarbeiter, der Vater Schlosser und die Mutter Sekretärin. Da komme ich her."
Wien hat sich aus seinen Trümmern erhoben. Es ist der Geist dieser Nachkriegszeit, den Robert Seethaler in seinem Roman "Café ohne Namen" auferstehen lässt.
Robert Seethaler, Autor, liest
"Die Leute konnten nicht begreifen, dass es vorbei war, und nur ganz langsam wich das Entsetzen in ihren Gesichtern einem Ausdruck zaghafter Erleichterung. Dann fingen sie an aufzuräumen."
Robert Seethaler, Autor
"Es ist kein gewolltes Panorama der Zeit und doch entsteht so etwas Kaleidoskophaftes. Es sind die Schlaglichter, die ich versucht habe zu setzen, wie wenn du in der Dunkelheit eine Höhle ausleuchtet. Du wirst die ganze Höhle nie erwischen. Aber über das punkthafte Erleuchten der Höhle oder der Geschichtshöhle kannst du dir zumindest eine Vorstellung machen oder dir deine eigene Geschichte reininterpretieren."
Der Held in Robert Seethalers neuen Roman verdient als Gelegenheitsarbeiter auf dem Karmelitermarkt sein Geld. Ein zufriedener Mann. Kriegswaise. Hier in einem der ärmsten Viertel der Stadt, schleppt er Kisten und stapelt Paletten. Als er hört, dass der Pächter eines kleinen Kaffeehauses am Markt aufgibt, packt ihn die Sehnsucht.
Robert Seethaler, Autor
"Das ganze Buch ist aus einem Bild entstanden. Es war genau dieses Bild dieses Mannes, der seine Stirn an eine Scheibe legt und in diese Dunkelheit hineinblickt. Daraus hat sich das ganze Buch, die ganze Geschichte entwickelt. Das ist ja noch nix. Das ist ein Unort, ein verstaubter, von Fliegenschwärmen bewohntes schwarzes Loch. Und er, der einen Traum hat, versucht aber, aus diesem Loch einen Ort der Begegnung zu machen. Und das gelingt ihm auch in den nächsten Jahren."
Es sind vor allem Schmalzbrote, die Robert Simon seinen Gästen serviert. Und Alkohol. Zu den Gästen zählen Gerüstbauer und Aushilfen, ein Asphaltierer, eine Käsehändlerin, ein Heumarktringer. Das kleine Kaffeehaus wird zum sozialen Zentrum der Nachbarschaft, eine Gemeinschaft aus Verlorenen. Hier finden die Arbeiter rund um den Karmelitermarkt einen Rückzugsort …
Robert Seethaler, Autor, liest
"Um wenigstens für ein paar Stunden den ganzen Schlamassel um sie herum zu vergessen. Es ist warm, die Fenster sind im Winter dicht und es gibt etwas zu trinken, und vor allem kann man reden, wenn man es nötig hat, und schweigen, wenn einem danach ist. Die Welt dreht sich immer schneller, da kann es schon passieren, dass es einige von denen, deren Leben nicht schwer genug wiegt, aus der Bahn wirft."
Robert Seethaler, Autor
"Das sind Menschen, die am Rande stehen. Also das heißt randständige Menschen. Aber nur die interessieren mich tatsächlich, denn Menschen, die sich am Rande bewegen, bewegen sich an einer Grenze und sind gegebenenfalls auch fähig, diese Grenze zu erweitern oder sie sogar zu übertreten."
Robert Seethaler, Autor, liest
"Denen tut nicht nur die Veränderung weh, sondern jeder einzelne Knochen im Leib, weil sie den ganzen Tag am Bau herumkriechen oder mit krummem Buckel vor einer Maschine hocken oder ganz einfach nur, weil sie zu alt oder zu kaputt oder beides zusammen sind."
Robert Seethaler, Autor
"Die Menschen, die ich da versucht zu beschreiben oder eher zu erschreiben, die genügen sich erst mal noch nicht, sondern die kämpfen ganz schön, die kämpfen ums Überleben."
Robert Seethaler. Bestsellerautor. Seinen Durchbruch hat er mit dem Roman "Der Trafikant" - sein bekanntestes Werk. Der Nachfolger "Ein ganzes Leben" steht 2014 auf der Shortlist des Internationalen Booker Prize. An die Menschen in seinen Romanen will er sich heranfühlen. Dafür genügt ihm allein die eigene Vorstellungskraft.
Robert Seethaler, Autor
"Ich bin tatsächlich ein sehr bildhafter Mensch, ich sehe sehr schlecht und bin mehrfach in beiden Augen operiert. Und genau deswegen entwickle ich eben so eine Bilderwelt schon als kleines Kind. Ich denke weniger, als man gemeinhin so annehmen sollte und schreibe ziemlich intuitiv. Ich folge den Bildern, folge meinem Interesse und folge den Bildern."
"Das Café ohne Namen" portraitiert die zehn Jahre eines schlichten Kaffeehauses in der Leopoldstadt bis zu seiner Schließung. Der Lauf der Dinge. Robert Seethaler ist ein großer Augenblickschriftsteller.
Robert Seethaler, Autor
"Ich bin nicht der große strukturelle Erzähler, der einen Plot aufbaut oder sich ganze Geschichtsarchitekturen entwirft, sondern es geht mir wirklich um den Augenblick, den zu halten. Was bleibt von deinem Leben, was bleibt von meinem Leben? Ich nehme bei mir an, ohne es zu wissen, dass im Endeffekt die Erinnerungen an Augenblicke bleiben, vielleicht so Gefühlserinnerungen."
Autor: Max Burk