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Nan Goldins Werke als Fotografin kreisen schon immer um die Themen Liebe, Sexualität, Subkulturen, Drogen. Verschiedene Kunstmagazine wählten sie zur einflussreichsten Person der Kunstwelt. Ihr Ansehen setzt sie auch politisch ein. Vor ein paar Jahren protestierte sie gegen die amerikanische Unternehmerfamilie Sackler, die sie als mitverantwortlich an der Opioid-Krise in Amerika brandmarkte. Diesen Oktober wurde sie kurzfristig festgenommen, als sie an einem sit-in für Palästina in der Wall Street teilnahm. Als amerikanisch-jüdische Künstlerin ruft sie dazu auf, keine Waffen an Israel zu liefern. Es ist also politisch keine einfache Künstlerin, die ab 23. November mit einer Retrospektive in der Berliner Neuen Nationalgalerie ausgestellt wird. Das Museum hat deshalb ein Symposium zu "Kunst und Aktivismus" organisiert, um das es nun auch wieder Streit gibt.
In der Neuen Nationalgalerie in Berlin beginnt heute eine Ausstellung, die schon im Vorfeld für viel Aufregung sorgte: eine Werkschau der amerikanischen Künstlerin Nan Goldin. Die gilt als eine der wichtigsten Foto-Künstlerinnen der Gegenwart.. Hauptsächlich fotografiert sie, zu Themen wie Gewalt, Drogen, Subkultur – Viele ihrer Motive hat sie im Berlin der 1980er und 90er gefunden. Aber: Nan Goldin ist derzeit auch die prominenteste Kritikerin Israels in der Kunstwelt. Da droht Streit. Die Ausstellungseröffnung nutzte sie auch gleich für ein politisches Statement.
Bei der Ausstellungseröffnung gestern Abend kam es zum Eklat. Nan Goldin kritisiert Deutschland heftig, sagt dass das Vorgehen Israels in Gaza sie an Pogrome erinnert. Pro-palästinensische Aktivisten brüllen den Direktor der Neuen Nationalgalerie nieder, der dagegen hält. es gibt Tumulte.
Goldin, Protest Rede
"Are you listening, Germany?"
"What I see in gaza reminds me of the progroms that my grandparents escaped - never again means never again for everyone!"
Begleitend ist deshalb extra eine hochkarätig besetzte Veranstaltung angesetzt, in der über Kunst und Aktivismus diskutiert wird. Bei all der Aufregung wird eins fast vergessen: die Kunst. Nan Goldin fotografiert sich, ihre Freundinnen und Freunde, beiläufig. Radikal subjektiv, voller Liebe, Leidenschaft. "Schmutzig" wurden diese Fotos oft genannt, weil Nan Goldin auf Perfektion pfeift, dafür aber die Wunden und Narben zeigt, die das Leben, die Drogen hinterlassen.
Und sie taucht ein in die Welt der Stigmatisierten: der Dragqueens in den 1980er Jahren in New York.
Klaus Biesenbach, Direktor Neue Nationalgalerie
"Was die Nan Golding damals gemacht hat, war eigentlich auf der Höhe der Aids Krise und Nan Golding war damals eine ungeheuer wichtige identifikations-stiftende Figur. Ich erinnere noch, wie das damals schon eigentlich so, wo man dachte, darf man das? Ist sie zu offen? Wagt sie sich in gesellschaftliche Tabuzonen?"
Die Ausstellung in Berlin zeigt all diese Fotos als Diashow – gemeinsam mit Nan Goldins Filmen: eine Art Tagebuch ihres exzessiven, selbstzerstörerischen Lebens.
Nan Goldin, geboren 1953 in Washington, in eine gutbürgerliche, jüdische Familie. Die Mutter wurde jahrelang missbraucht. Ihren Kindern konnte sie kein Zuhause bieten. Barbara, Nans Schwester, wird mit 14 ins Waisenheim abgeschoben – mit 18 nimmt sie sich das Leben. Nan Goldin rekonstruiert in der Ausstellung ihr Schicksal.
"This will not end well": Das wird nicht gut ausgehen, so heißt diese fantastische, beklemmende Retrospektive. Doch Nan Goldin ist derzeit hoch umstritten, weil sie Israel Genozid vorwirft.
Leon Kahane, der Berliner Fotograf mit jüdischen Wurzeln, kritisiert zwar diesen einseitigen Aktivismus, ist aber immer noch begeistert von ihrer Kunst.
Leon Kahane, Künstler
"Ich bin natürlich mit diesen Bildern groß geworden und ich kenne die und die sind mir wichtig. Und diese Bilder zeigen eigentlich Menschen, die repräsentieren etwas Fragmentiertes, etwas Verletztes und etwas damit zutiefst Menschliches. Und das habe ich immer toll gefunden – auch wie verletzlich es sein kann, sich die eigene Freiheit zu nehmen."
Kahane bewundert, wie schonungslos offen Nan Goldin alles mit der Kamera festhält. Sie versteht sich immer schon als künstlerische Aktivistin. Als sie nach einer Operation abhängig ist von Schmerzmitteln, kämpft sie gegen die Familie Sackler, Kunstmäzene, die mit den Schmerzmitteln Milliarden gemacht haben. 400.000 Menschen starben an der Sucht. Für dieses Engagement wurde Nan Goldin letztes Jahr mit dem Käthe-Kollwitz-Preis ausgezeichnet. Ihr aktueller Aktivismus sorgt dagegen für Ärger. Nan Goldin spricht vom "Genozid" an Palästinensern, wurde bei einem „sit in“ vorrübergehend verhaftet.
Für die Neue Nationalgalerie eine schwierige Situation. Ein Symposium wurde organisiert, über Kunst, Aktivismus und den Nahostkonflikt. Nan Goldin fühlt sich nun an den Pranger gestellt. Doch weder sie noch Klaus Biesenbach wollen etwas dazu sagen.
Leon Kahane wird beim Symposium dabei sein, er sucht den Austausch; gerade weil er sich als politischer Künstler versteht.
Leon Kahane, Künstler
"Für mich ist es sehr schwer im Moment zu arbeiten. Ich glaube, es ist für viele Leute sehr schwer im Moment zu arbeiten, die betroffen sind von diesem Konflikt und eigentlich nach einer Lösung suchen, weil die findet man eben nicht so leicht, wir sehen vermutlich einer langen Phase der tiefen künstlerischen Depression entgegen."
Das Symposium wird jetzt von radikal Israel-kritischen Künstler:innen boykottiert – sie wollen nicht von der deutschen pro-israelischen Kulturpolitik vereinnahmt werden. Da ist es leichter zu sagen, man werde gecancelt.
Einer der teilnimmt: der palästinensiche Künstler Osama Zatar. Er kann das alles nicht verstehen. Er war verheiratet mit einer israelischen Jüdin, und arbeitet in Wien in Projekten mit jüdischen Künstlern.
OSAMA ZATAR, KÜNSTLER
"Ich finde den Boykott schade, gerade in den Deutsch-sprachigen Ländern ist es so wichtig, sich auszutauschen. Ich habe meine Kunstprojekte wegen des Nahost-Konflikts begonnen und versuche immer, eine gute, gemeinsame Basis zu schaffen, um eine Lösung zu finden."
Eine gemeinsame Basis? In Berlin scheint sie derzeit weit weg. Die Debatte um Nan Goldin fängt gerade erst an. Wie wird sie wohl enden? Es sieht nicht gut aus, wenn schon die sonst so konfliktfreudige Kunstszene nicht fähig ist, miteinander zu reden.
Autor: Petra Dorrmann