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Die Regisseurin Mareike Engelhardt ist Berlinerin, doch ihren Debütfilm "Rabia" hat sie in ihrer Wahlheimat Frankreich geschrieben und produziert. Er handelt von einem 19-jährigen Mädchen, das nach Syrien geht, um sich dem Dschihad anzuschließen. Doch kaum angekommen, landet sie in einem Frauenhaus des sogenannten Islamischen Staats. Ihr bisheriges Leben ist Geschichte, ihre Träume geraten ins Trudeln. Wir treffen Engelhardt in Berlin und besuchen mit Ihr Orte, die sie geprägt haben.
Jessica und ihre beste Freundin Laïla auf dem Weg in ein anderes Leben. Laïla hat sich in einen Mann verliebt, der Kämpfer beim Islamischen Staat ist. Über Social Media hat er sie angeschrieben. Nun will sie seine Ehefrau werden, und Jessica soll als Zweitfrau mitkommen.
"Du wirst ihn echt beeindrucken."
- "Na, klar und wie."
Für die Recherche zu ihrem Film hat Regisseurin Mareike Engelhardt mit vielen Frauen gesprochen, die beim IS waren. Bei diesen Treffen wurde sie überrascht.
Mareike Engelhardt, Regisseurin
"Die erste Frau, die ich kennengelernt habe. Das war für mich das prägendste Treffen. Und schon als sie kam, war ich sehr erstaunt, weil sie angezogen war mit enger Jeans, Lederjacke, modernes T-Shirt hatte. Ich hatte es nicht so erwartet. Und das Gespräch fand dann auch ganz, ganz anders statt, als ich dachte. Und ich habe gemerkt, dass es gar nicht um religiöse Motivationen ging, dass es gar nicht unbedingt um politische Motivation ging, sondern eher um eine Frustration mit der Gesellschaft, in der sie lebte."
Die Frauen erzählen der Berliner Regisseurin – die seit 15 Jahren in Paris lebt – von Ungerechtigkeit, von der Schere zwischen Arm und Reich. So wie die Hauptfigur Jessica, sind es Frauen, die viel für andere geben und wenig zurück bekommen. Jessica kümmert sich um ihren Vater und arbeitet als Pflegerin.
Der Islamische Staat verspricht den Frauen Gerechtigkeit, eine Familie und das Paradies. Doch schon bei der Ankunft in der Raqqa erleben die Freundinnen Unheimliches: Sie müssen ihre Ausweise und Handys abgeben.
"When will we get them back? My whole life is in here."
- "You get them when you leave the house."
Mareike Engelhardt, Regisseurin
"Das alles war waren so abstruse Dinge, die ich da gelernt habe in diesen Gesprächen, dass ich dachte, es ist spannend, darüber einen Film zu machen. Auch darum, weil diese, in diesen Häusern so einen Lebensweg von einer Frau auf mehrere Monate kondensiert wird. Das heißt, die kommen da rein, sind Jungfrauen, verheiraten sich, bekommen Kinder, der Mann stirbt oft im Kampf und dann kommen sie wieder ins Haus zurück, verheiraten sich neu. Das heißt, alles das, was wir über Jahrzehnte irgendwie erleben, passiert plötzlich über ganz, ganz kurze Zeit."
Das Kontrollsystem in diesen Frauenhäusern wurde von einer Marokkanerin entwickelt.
"Your true family is here now."
Sie ist das Vorbild für die Leiterin der Madafa im Film.
- "It's up to you now, to extend the Umma. And with god's help it will spread to the whole world. Allah u akhbar."
Mareike Engelhardt, Regisseurin
"Es ist so eine Art System der Unterdrückung von Frauen aber von einer Frau erfunden. Und es geht im Grunde um den Frauenkörper: Worauf wird die Frau reduziert innerhalb eines totalitären Systems, dessen vorgeschriebenes Ziel die Machtübernahme der Welt ist und dass der Körper der Frau zu einer Art Geburtsmaschine reduziert wird, die zu Volksvergrößerung da ist, fand ich interessant."
Mareike Engelhardt nimmt uns mit an einen Ort ihrer Kindheit: das Grips-Theater. Zuerst begeistert sich die Regisseurin fürs Theater, erst dann geht sie zum Filmemachen nach Paris.
Bei der Arbeit an ihrem Debütfilm Rabia holt ein Thema aus ihrer Familie sie ein: ihr Großvater war Nazioffizier, ihre Großmutter glühte fürs NS-System. So erinnert das Frauenhaus Madafa Mareike Engelhardt sofort an die Lebensborn-Häuser. Hier konnten Frauen ihre unehelichen Kinder, oft gezeugt von SS-Offizieren, auf die Welt bringen.
Mareike Engelhardt, Regisseurin
"Mir hat man sehr, sehr spät erst gesagt, dass zwei meiner Großeltern sehr, sehr involviert waren im Krieg und daher konnte ich ihnen diese Frage nicht stellen, diese Frage des Warum? Warum habt ihr das gemacht? Und vor allem, wie konntet ihr weiter machen, als ihr gemerkt habt und als ihr verstanden habt, woran ihr Teil habt? Und das ist diese Frage, die ist eigentlich auch im Kern des Filmes: wie man seine Menschlichkeit verlieren kann, wie man zum Monster wird."
Durch diese Verwandlung geht die Hauptfigur Jessica. Als sie sich weigert zu heiraten, wird sie gefoltert und dann zur Kommandeurin Rabia und Komplizin im System.
Mareike Engelhardt, Regisseurin
"Mir war es wichtig, gewisse Vorurteile zu widerlegen. Das heißt das Vorurteil zum Beispiel, dass nur arabische Frauen dort hingegangen sind. Das hätten unsere Töchter, Cousinen, Nachbarinnen sein können, die übers Internet dort von diesen Leuten angeschrieben und angelockt worden sind, das heißt es ist wirklich eine Gefahr, die noch besteht und weiterhin bestehen kann."
Bis zum Ende erzählt der Film mit eindringlichen Bildern der Kamerafrau Agnes Godard von der Verblendung der Frauen. Erst als die Madafa bombardiert wird, erkennt Jessica die Gefahr, in der sie schwebt.
"Wir haben uns getäuscht. Wir müssen hier weg Jessica."
Autorin: Vera Drude