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In Dmitrij Kapitelmans neuem Roman ist der Ukraine-Krieg eine sehr persönliche Angelegenheit zwischen seiner Mutter und ihm. Sie steht auf der Seite Putins, er sieht die Dinge ganz anders. Ein liebevoll beobachteter, manchmal sogar heiterer Blick auf Staatslügen und Familienbande.
Dmitrij Kapitelman geht mit uns einkaufen. Im russischen Supermarkt Berozka bekommt er ein heimeliges Gefühl, denn seine Eltern hatten solch einen Laden in Leipzig.
Dmitrij Kapitelman, Autor
"Überhaupt ist es hier sehr schön, leider ein bisschen schöner als bei uns."
Damals, in der Pandemie, übernimmt der Autor und Journalist den Verkauf und bittet seine Eltern, zuhause zu bleiben. Das Geschäft muss letztlich schließen, aber in seinem neuen Buch spielen die Stammkunden und das Warensortiment wieder eine Hauptrolle, auch die Pelmeni.
Dmitrij Kapitelman, Autor
"Die traurige Wahrheit ist, dass ich leider am liebsten die mit Schwein esse. Mein Rabbi wohnt in der Nähe, der weiß das."
"Plombir Eis, Crème Brûlée."
"Ich freue mich einfach sehr über die Produkte, die Dinge, die ich aus meiner Kindheit kenne. Auch so eine Art Verbundenheit mit den Menschen, die man liebt oder auch verloren hat und liebte, die sind irgendwie ein bisschen wieder da, wenn ich die Dinge esse oder trinke. Auch wenn ich sie dann alleine esse, verbindet es mich mit ihnen."
Im Buch wischt der jugendliche Dmitrij den Linoleumboden im Laden Magasin - zwischen der unfreundlichen Aushilfe Ira und den sprechenden Fischen in der Kühltheke.
Dmitrij Kapitelman, Autor
"Er sagt, ich soll Kaviar kaufen."
Das Magasin ist ein Ort, der Menschen verbindet, die aus dem Ostblock kommen. Seit dem erneuten Angriffskrieg auf die Ukraine vor drei Jahren ist es mit dem Gemeinschaftsgefühl aber vorbei. Auch in der russisch-ukrainischen Familie Kapitelman. Im Buch streiten Sohn Dmitrij und seine Mutter Lara darüber, was gerade wirklich passiert.
Dmitrij Kapitelman, Autor
"Der Konflikt mit der Mutter, die an die russische, also Putins Darstellung des Kriegs eigentlich glaubt, das schürft ja sehr tief. Also, das beginnt wirklich schon beim Maidan und der Erzählung, dass das vom Westen gesteuert wurde und in der Ukraine und seitdem eigentlich eine Scheinregierung steckt. Und deswegen ist das auch so unglaublich gefährlich, wenn Trump jetzt Selenskyj einen Diktatoren nennt."
Heute hat Dmitrij Kapitelman mit Wodka und Kaviar trotzdem etwas zu feiern: er liest fürs Literaturhaus Berlin im Colosseum aus seinem neuen Buch. Es ist das dritte, in dem er von seiner Familie erzählt und beeinflusst vom Krieg ist es das dunkelste geworden. Wie zum Ausgleich erlaubt er sich, seine Leser in phantastische und skurrile Szenen zu entführen.
Dmitrij Kapitelman, Autor
"Das kann sein, dass sich Menschen in Zigaretten verwandeln, dass Fische sprechen können. Und ich bin mir nicht sicher, warum ich das getan habe. Am ehesten, weil ich nur so an den Irrsinn herankam, der um uns herum geschieht und ich manchmal den Eindruck hatte, ich muss erst bizarr werden, um realistisch sein zu können. Vor allem das und das hat auch ziemlich viel Spaß gemacht."
So wird der russische Fernsehwetterbericht, den die Mutter aus Deutschland verfolgt, zur biblischen Szene.
Dmitrij Kapitelman liest aus "Russische Spezialitäten"
"Rentner schleppen ihre russischen Einkäufe in Richtung russischer Wohnblöcke aus der Sowjetzeit. Rechts russischer Schnee, der ihnen über den Kopf ragt, links russischer Schnee, der ihnen über den Kopf ragt. Ein geteiltes russisches Schneemeer, als hätte Moses kurz in Atschinsk Hand angelegt."
Der erste Teil des Buchs spielt in Leipzig, für den zweiten reist der Autor im April 2024 in die Ukraine. Selbst als sich Dmitrij im Buch vorm russischen Bombenangriff in den Bunker des Hotels flüchtet, will die Mutter nicht verstehen, dass dort wirklich Krieg ist.
Dmitrij Kapitelman, Autor
"Das, was ich beschreibe, ist so grundmenschlich – auch in deutschen Familien. Also, ich will gar nicht wissen, wie viele Mütter, Väter, Söhne, Schwestern gerade zerstritten sind, weil irgendjemand da AfD wählt. Also was ich da verhandle, ist universell, zumindest hoffe ich das. Und deswegen gibt mir das auch den Glauben, dass es einen großen Wert hat, dass jemand so beherzt diese Dinge verhandelt, weil sie viel, viel mehr Menschen betreffen als bloß uns."
Am Ende reicht es nur zum Waffenstillstand zwischen Mutter und Sohn. Wer weiß, vielleicht gibt's im nächsten Buch dann einen Friedensvertrag.
Autorin: Vera Drude