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Deutschland nach der Bundestagswahl: Wie sehr hat der harte Wahlkampf die Maßstäbe für die Kultur nach rechts verschoben? Steuern wir auf eine neue Leitkultur-Debatte zu? Kulturschaffende blicken in die Zukunft.
Deutschland hat gewählt, die AfD ihren Stimmenanteil verdoppelt. Die Kulturszene ist besorgt: Was bedeutet das für Vielfalt und Diversität, für die Freiheit der Kunst?
Olaf Zimmermann, Deutscher Kulturrat
"Also dieses Ergebnis ist dramatisch. Das werden wir zu spüren bekommen. Die AfD hat schon immer den Kulturbereich auf dem Kieker."
Mounir Zahran, Politikwissenschaftler
"Entsprechend habe ich die Sorge, dass das, dass dieser Bruch, den wir gerade erleben, zu einer normalen Normalität führt."
Nurkan Erpulat, Theaterregisseur
"Ja, ich habe ein bisschen Angst, dass es so weiter geht. Das ist noch schlimmer wird."
Hella Stoletzki, Künstlerin
"Ich denke, dass da unglaublich viel verloren gehen würde, an kultureller Vielfalt."
Wahlsieger Friedrich Merz holt seinen Klassiker aus der Kiste: die Deutsche Leitkultur.
Und AfD-Politiker Matthias Helferich dreht den Kampfbegriff noch weiter.
Matthias Helferich, AfD
"Für mich ist, sage ich mal, rechte Kultur ist das Volkstheater, es ist schöne Architektur, die anspricht, die nicht verhässlicht. Ich finde den Bundestag schon eindrucksvoll, aber ich bin lieber im Reichstagsgebäude."
Musikvideo "Hausverbot"
"Sie wollen uns die Schweinshachse, die Bratwurst, das Schnitzel verbieten. Und ich kann euch sagen, ich lasse mir nicht mein Schnitzel wegnehmen."
Alice Weidels Vorliebe für nationale Leibgerichte inspiriert die Berliner Party-Rapper Sonos Cliq zu einem für sie ungewöhnlich politischen Song.
"Björn Höcke isst zum Mittagessen Döner. Ein Nazi tut auf ganz normaler Bürger."
"Niemand nimmt irgendwem das Schnitzel weg. Und das ist eigentlich das, was wir damit sagen wollten. Von wegen: Alice, halt bitte die Klappe. Das was du sagst, macht keinen Sinn."
"Wir haben den Song jetzt nicht extra deswegen gemacht. Den gabs den Song und wir waren so: Ey wir wollen den jetzt raushauen."
Das Gorki-Theater ist eine feste Institution der postmigrantischen Theaterszene, Regisseur Nurkan Erpulat spürt den Druck von rechts schon länger.
Nurkan Erpulat, Theaterregisseur
"Es gibt einen Gegenwind. Man stellt einfach die Kunst von Menschen mit Vielfalt in Frage, sofort. Also es ist, leider, seit paar Jahren im Gange."
"Wir sind hier in Deutschland. Und den Deutschen ist es scheißegal, wie viele Sprachen wir sprechen oder zu wem wir beten. Für sie sind wir die Scheiß-Türken, also sind wir die Scheiß-Türken. Fertig."
Nurkan Erpulat thematisiert in seinen Stücken immer wieder Fremdsein und Heimat - und wie Migration längst auch die deutsche Kultur prägt.
Nurkan Erpulat, Theaterregisseur
"Man redet heute wieder von wir und ihr. Und ein Drittel dieser Gesellschaft hat Migrationshintergrund. Also es ist nicht eine Randgruppe irgendwo. Postmigrantische Themen sind nicht die Themen von Postmigranten, sondern von dieser Gesellschaft."
Der Deutsche Kulturrat vermittelt zwischen Kultur und Politik in Deutschland. Geschäftsführer Olaf Zimmermann befürchtet fatale Folgen für die Erinnerungskultur, sollte die AfD den Vorsitz im Kulturausschuss im Bundestag erlangen.
Olf Zimmermann, deutscher Kulturrat
"Ich stelle mir einfach nur vor, was das Ganze praktisch heißt. Der Kulturausschuss geht auf seine Fahrt nach Israel, besucht Jad Vashem und dann würde der oder die Vorsitzende des Kulturausschusses AfD, die Delegation anführen und die Eröffnungsrede halten."
Andreas Lueg
"Und über den Schuldkult reden?"
Olaf Zimmermann
"Ja natürlich und würde über den Fliegenschiss in der Geschichte reden."
Wie konnte eine so rechte Agenda, mit ihrem Topthema Migration es überhaupt so weit in die Mitte der Gesellschaft schaffen?
Das hat der Politikwissenschaftler Mounir Záhran an der Freien Universität untersucht.
Mounir Zahran, Politikwissenschaftler
"Und so ein Wahlkampf funktioniert natürlich nur, wenn man an die Emotionen andockt. Wenn man irrational die Krise oder die Bedrohung nochmal zuspitzt, aufputscht, größer werden lässt, als sie es eigentlich ist."
Mounir Zahran meint: Die Demokratie hält ihr Versprechen nicht mehr ein: dass Politik Probleme löst. Auch in Brandenburg, wo die Künstlerin Hella Stoletzki lebt und arbeitet, zieht es immer mehr Wähler zur AfD. Das beunruhigt sie auch als Sorbin.
Hella Stoletzki, Künstlerin
"Wenn die AfD damit wirbt, dass sie für die Sorb:innen sich einsetzen, glaube ich das einfach nicht. Also ich habe eher das Gefühl, dass wir instrumentalisiert werden können."
Am Staatstheater Cottbus setzen sie auf Begegnung und Diskussionsräume, mit allen Cottbussern. Schauspielerin Sophie Bock sieht Leitkultur anders das rechte Narrativ.
Sophie Bock, Schauspielerin
"Wir können ganz viel Leitkultur spielen, nur aber ist diese Leitkultur sehr kritisch. Goethe und Schiller waren die größten Kritiker von Deutschland. Viele Opern, viele Geschichten aus der deutschen Leitkultur verzagen am Nationalbild oder untersuchen ganz andere Dinge als diese AfDler irgendwie glauben, was sie da rein interpretieren."
Der Druck von rechts, die Mittel-Kürzungen, die Umdeutung der Kultur ins verbal Völkische - das alles ist jetzt schon Realität, damit umzugehen ist die Herausforderung. Kultur hat sich immer ihren Weg gesucht. Trotzdem: Keine einfache Aufgabe, in der neuen Bratwurstigkeit unserer Welt.
Olf Zimmermann, deutscher Kulturrat
"Es ist nicht die Aufgabe von Kunst und Kultur, von allen gemocht zu werden. Es ist auch nicht die Aufgabe von Kunst und Kultur, Schönheit zu produzieren. Wir werden um die Kunstfreiheit jetzt richtig intensiv kämpfen müssen."
Mounir Zahran, Politikwissenschaftler
"Vielleicht sollte Kultur mehr Energie und Kraft reinstecken, sich jetzt nicht unbedingt an Höcke und der AfD abzuarbeiten, also am Gegner abzuarbeiten, sondern selbst Möglichkeiten aufzeigen, Utopien aufzeigen."
"Weil die Jährigen, die jetzt noch 14 sind, die wählen in vier Jahren unsere neue Bundeskanzlerin oder neuen Bundeskanzler. Und da ist es ganz wichtig, denen jetzt irgendwie ein gutes Gefühl zu geben, auf die zu hören, was wollen die, was wünschen die sich."
Hella Stoletzki, Künstlerin
"Einfach sich vernetzen, Sachen auf die Beine stellen, Räume schaffen, auf die man selber Lust hat, die man braucht. Ich glaube, das ist das allerbeste, was man jetzt gerade machen kann."
Nurkan Erpulat, Theaterregisseur
"Dass die Menschen gemeinsam zusammenkommen und gemeinsam atmen und gemeinsam denken. Und das brauchen wir dringend, mehr denn je."
Autoren: Andreas Lueg, Jannis Byell