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Das Kongress-Zentrum, das "Haus des Lehrers", die Zuckerbäcker-Bauten der Karl Marx Allee - der Architekt Hermann Henselmann hat das Zentrum von Berlin (Ost) geprägt. Er wäre dieses Jahr 120 geworden. Im einem der Türme der Frankfurter Allee, kann man Henselmanns DDR-Moderne noch in einer ganz besonderen Wohnung erleben.
Die Karl-Marx-Allee, Pracht- und Paradestraße der DDR, erbaut u.a. vom Architekten Hermann Henselmann, der in einem der Türme am Frankfurter Tor lange Zeit wohnte. Heute lebt hier ein späterer Berufskollege: Thomas Krüger, von Anfang an begeistert von der einmaligen Lage und Qualität dieser Wohnung.
Thomas Krüger, Architekt
"Wir waren junge Architekten, meine Frau und ich, und sind 1987 nach Berlin gekommen und wohnten vorher in einer Einzimmerwohnung. Und ich weiß noch genau, als ich reinkam. Der Blick. Es war sofort klar: Hier musst du unbedingt einziehen, wenn es irgendwie geht."
Die Wohnung, heute bestückt mit verblüffend modern wirkenden Möbeln aus der Frühzeit der DDR, sieht nicht nur gut aus, sondern ist auch klug konzipiert.
Thomas Krüger, Architekt
"Also die Wohnung ist wirklich … obwohl sie einen recht konservativen Grundriss hat, es gibt vier gleichgroße Zimmer, die aber so untereinander schaltbar sind und so intelligent eigentlich in diesem Quadrat untergebracht, das ich für den Wohnungsbau eigentlich gar nicht so unbedingt gut eignet. Aber trotzdem hat Henselmann es geschafft, dass diese Räume sehr flexibel nutzbar sind."
Hermann Henselmann, Jahrgang 1905, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, kam Mitte der 20 Jahre nach Berlin, um Architektur zu studieren. Es ist vom Bauhaus begeistert. Die von ihm am Genfer See errichtete Villa Kenwin sorgt für Aufsehen. Mit der Machtergreifung der Nazis taucht er ab, sein Vater ist jüdischer Abstammung. – Nach Kriegsende schlägt seine Stunde.
Henselmanns erste Entwürfe sind viel zu kühn für die SED-Führung. In der Stalinallee sollen luxuriöse Wohnpaläste für die Arbeiter entstehen, es geht voran und nach oben.
Als Chefarchitekt Berlins ist Henselmann maßgeblich beteiligt an der Neugestaltung des Zentrums. Mit dem Haus des Lehrers und der Kongreßhalle. Auch der Fernsehturm trägt seine Handschrift. Stolz präsentiert sich die Parteiführung in der "vertikalen Höhendominante" der Ostmoderne, die nach dem Ende der DDR erst einmal in Verruf gerät.
Katrin Lompscher, Vorstandsvorsitzende Hermann-Henselmann Stiftung
"Interessanterweise war der alte Teil der Karl-Marx-Allee der 50er Jahre sogenannter Zuckerbäcker Stil von Anfang an sozusagen auch wertgeschätzt nach dem Mauerfall. Für die anderen moderneren Teile – für Hermann Henselmann war das Haus des Lehrers zum Beispiel immer so ein Lieblingsbau, weil er dort seinen modernen Vorstellungen am meisten gerecht werden konnte – da hat es ein bisschen gedauert mit der Wertschätzung. Also dass diese spezifische Ausprägung der Nachkriegsmoderne der DDR auch als gemeinsames Erbe für das neue Berlin anerkannt wird, das hat Zeit gebraucht. Aber ich würde sagen jetzt, das ist unumstritten."
Dabei ist Henselmanns Modell des Fernsehturms, Ende der 50er Jahre, zunächst Provokation. Der Wettbewerb war ausgeschrieben für ein Regierungshochhaus. Der schnörkellose Turm der Signale, wie er ihn vorschlägt, zeigt ihn als Visionär: Funktion schlägt Fassade.
Thomas Krüger, Architekt
"Das sah so aus, als wäre es aus einer damaligen Science-Fiction-Serie entsprungen. Das war auch der Zeitgeist, glaube ich. Also diese Moderne in den 60er Jahren, geprägt eben auch vom Wettlauf im All und Sputnik auf dem Kaffee Moskau, oder? Viele sagen ja auch, der Fernsehturm und die Bauten mit diesen spitzen Betondächern, das war der Rauch, der aufsteigt, wenn eine Rakete sich in den Himmel erhebt."
Krügers Wohnung am Frankfurter Tor könnte eine Hermann-Henselmann-Gedenkwohnung sein, wobei Interieur und Möbel nicht vom Architekten stammen. Gesammelt und zum Teil vom Müll und Flohmarkt geholt hat sie Galerist Stephan Schilgen, ein Fan der DDR-Moderne. Krüger räumte für Schilgen die Wohnung frei, damit die Stücke im Ensemble wirken können. Nur weshalb wirken sie so? So modern und elegant?
Stephan Schilgen
"Das liegt vielleicht an dem bauhausigen Touch, der ja doch was Zeitloses hat. Da kamen die frühen DDR-Designer eben her. Wir haben hier den Franz Ehrlich, der diese tollen Möbel kreiert hat, auch ein Architekt und Möbeldesigner, wie die meisten Bauhäusler. Das ist die Serie 602, so nennt man die, und wir haben einmal versucht, die zusammenzustellen: Herkunft ist das Bauhaus, da geht’s in erster Linie um die Funktion. Die Form sollte der Funktion folgen. Das ist die Idee dahinter. Die Deutschen haben das wunderbar gemacht, in der Reduktion neue Formen zu finden."
Ein Museum der Ostmoderne wäre überfällig und bleibt bis heute Desiderat. Thomas Krügers Privatwohnung kann die Lücke nicht schließen, ihm wurde gerade wegen Eigenbedarf gekündigt.
Thomas Krüger, Architekt
"Ich meine so eine Wohnung, wo man hier einen dermaßen einen Überblick hat, wo jedes Wetter schön ist, ob es regnet, schneit oder stürmt. Das ist immer ein Schauspiel! Aber diese Privatisierung, die hier überall in Berlin natürlich von Anfang genommen hat und ein großes Übel geworden ist, ja, der muss ich mich auch beugen."
Autor: Rayk Wieland