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Der ukrainische Fotograf Arthur Bondar erkennt 2016 sofort, dass er auf einen besonderen fotografischen Schatz gestoßen ist. In Russland entdeckt er die Bilder von Valery Faminsky. Der soll zum Kriegsende 1945 eigentlich die Arbeit des Roten Kreuzes mit der Kamera begleiten, ist so bei der größten Panzerschlacht auf deutschem Boden dabei. Er fotografiert unverstellt den grausamen Alltag des Krieges, abseits aller Propaganda. 38 dieser Aufnahmen werden jetzt zum 80. Jubiläum der Schlacht um die Seelower Höhen in einer Ausstellung im Schloss Neuhardenberg gezeigt. Wir treffen Arthur Bondar vor Ort.
Junge Rotarmisten verwundet nach dem Kampf, Panzerbrigadisten an weißen Tischdeckchen. Die Gewalt, die Absurdität des Krieges auf den Seelower Höhen. Festgehalten von Valery Faminsky, einem sowjetischen Rotkreuz-Fotografen. Jahrzehnte lang sind die Aufnahmen unbekannt. Entdeckt durch Zufall, hat sie der ukrainische Fotograf Arthur Bondar auf einer russischen Online-Börse.
Arthur Bondar, Fotograf
"Ich sah diese Bilder und mir war sofort klar, dass ich sowas noch nie gesehen habe. Weder in einem Buch, einer Ausstellung, nirgendwo. Sowas gibt es auf der sowjetischen Seite des zweiten Weltkrieges nicht. Da wird nur immer nur der heldenhafte Sieg dargestellt, nicht das echte Leid. Außer Faminsky, Faminsky hat es getan."
Eigentlich soll Valery Faminsky armeeintern die medizinische Versorgung der Soldaten dokumentieren. Dafür meldet er sich freiwillig, schreibt sogar Josef Stalin persönlich, um an die Front zu kommen.
Arthur Bondar, Fotograf
"Sein einziges Problem sind seine dicken Brillengläser. Denn die offizielle Antwort ist: Wir brauchen keinen blinden Fotografen an der Front. Das hat Ironie, wenn wir uns seine Bilder anschauen. Dieser blinde Fotograf hat viel besser hingeschaut als die Anderen. Er wollte seinem Land dienen, seine einzige Waffe war seine Kamera."
Viele der Fotos entstehen hier, auf den Seelower Höhen. Am 16 April 1945, kurz vor Kriegsende, beginnt hier der Vormarsch der roten Armee auf Berlin. Die größte Panzerschlacht des zweiten Weltkriegs auf deutschem Boden. Eine Million Rotarmisten gegen 120.000 Wehrmachtssoldaten.
Insgesamt verlieren auf beiden Seiten fast 50.000 Menschen ihr Leben.
Der Fotograf Arthur Bondar ist zum ersten Mal vor Ort, in einer Landschaft die er nur geschunden vom Krieg kennt, von den Fotos von Valery Faminsky.
Arthur Bondar, Fotograf
"Das könnte derselbe Baum sein, wer weiss. Dieser Ort ist für mich historisch und besonders spannend zu entdecken."
Als Ukrainer ist ihm Krieg nicht mehr fremd. Als die Invasion russischer Truppen in sein Heimatland beginnt, dokumentiert er heimlich in Russland, wie die Bevölkerung dort auf den Krieg blickt. Er fotografiert im ganzen Land mit einer Kinderkamera, um nicht aufzufallen.
Arthur Bondar, Fotograf
"Es geht mir dabei nicht um Kampfhandlungen oder wer gewinnt. Es ist eine große Tragödie für beide Seiten."
Arthur Bondar
"Hallo Herr Schulz."
Rudi Schulz
"Hallo guten Tag."
Arthur Bondar
"Schön Sie kennen zu lernen."
Rudi Schulz
"Ich freu mich auch, Sie kennen zu lernen."
Rudi Schulz ist einer der letzten Zeitzeugen, ist acht Jahre alt, als die Sowjets die Seelower Höhen einnehmen.
Rudi Schulz, Zeitzeuge
"Als wir über die Oder geflüchtet sind Richtung Glansberg, habe ich auch einen Splitter am Oberschenkel gehabt. Und wurde von einer Verwundetenstelle, von der Roten Armee verbunden. Das haben die Sowjetsoldaten auch gemacht, nicht dass sie sagten: Boah, weg, du bist Deutscher, geh und stirb oder so, so war das nicht, im Gegenteil."
Als die sowjetischen Soldaten dann vor der Tür stehen, denkt Rudi Schulz, er muss sterben.
Rudi Schulz, Zeitzeuge
"Und mit einmal kommt ein sowjetischer Soldat zu mir und fässt mich um und nimmt mich mit in den Nebenraum, wo die alle gesessen haben, und hat mich gedrückt und dann weitergereicht von Soldaten bis zum anderen, so die ganze Reihe rum. Dieses Gefühl, dieser Körperkontakt, bah! Der tut dir nüscht, der tut dir nüscht. Ich habe auch miterlebt, wie die sowjetischen Soldaten sich an Frauen betätigt haben. Musste ich miterleben als Achtjähriger. Man kann nur hoffen, dass es so etwas nie wieder gibt. Nie wieder."
An den Seelower Höhen gibt es schon seit Kriegsende ein sowjetisches Ehrenmal. Heute eine Gedenkstätte.
Arthur Bondar, Fotograf
"In Deutschland sagen alle "russische Armee". Dass waren keine Russen, das waren Sowjets. Russen, Georgier, Weißrussen, Ukrainer und all die Anderen. Wenn ich mich hier umschaue, dann ist das ein Gedenkort für alle Menschen der UDSSR. Wir haben angefangen, Geschichte umzuschreiben, das ist seltsam."
Zum achtzigsten Jahrestag der Schlacht werden die Bilder nun im Schloss Neuhardenberg gezeigt. Für Kurator Simon Häuser genau der richtige Zeitpunkt.
Simon Häuser, Kurator Schloss Neuhardenberg
"Gerade für meine Generation zum Beispiel ist Krieg etwas, was immer ganz weit weg ist. Und diese Bilder von Valerie Faminsky zeigen, Krieg kann auch hier passieren. Und ich glaube, diese Vergegenwärtigung, die ist in der heutigen Zeit, in der heutigen politischen Lage ganz, ganz wichtig."
Arthur Bondar glaubt, Valery Faminsky hätte die Ausstellung gefreut.
Arthur Bondar, Fotograf
"Die Botschaft von Faminsky ist, es ist egal, ob erster, zweiter oder dritter Weltkrieg. Menschen werden leiden."
Autor: Jannis Byell