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Der bröselnde Traum von Mobilität. Als hätte es der Fotograf Rolf Schulten geahnt. Zwischen 2021 und 2023 fotografiert er die schroffe Welt, die die A100 durch Berlin schlägt – menschenleer. So menschenleer, wie sie heute an der wegen Baufälligkeit gesperrten Ringbahnbrücke vor uns liegt. Er zeigt diese Bilder jetzt in seinem neuen Buch. Schulten hat sich früh Gedanken gemacht, über das verfehlte Mobilitätsversprechen der in den 50ern geplanten "autogerechten Stadt". Er zeigt, wie sich die Berliner*innen mit dem Beton der Stadtautobahn arrangieren.
Schade. Der Originaltext zu diesem Archivbeitrag ist verschollen. Aber schon die Musik erzählt von Aufbruch, Fortschritt, Versprechen. Ende der 50er war die Autofahrerwelt noch in Ordnung. Und heute…? …regiert das K-Wort auf der Stadtautobahn:
"Katastrophe – Katastrophe – Katatstrophe – kaputt – katastrophal."
Der Fotograf Rolf Schulten hat den goldenen Moment für seinen Fotoband erwischt. Drei Jahre lang hat er entlang der A100 die Verkehrsader mit seinem ganz eigenen Blick fotografiert – ohne Menschen, ohne Autos.
Rolf Schulten, Fotograf
"Ich habe gemerkt, dass mich das Bauwert mehr beeindruckt, wenn ich es seiner Funktion entledige. Ich wollte zeigen, mit welchem ingenieurstechnischen Aufwand dieses Bauwerk errichtet worden ist, nur um die Tätigkeit des Autofahrens zu ermöglichen. Und welche Auswirkungen dies auf die Umgebung hatte."
Meistens hat er am Sonntagmorgen seine Bilder gemacht – da ist am wenigsten los. Rolf Schulten erlaubt einen anderen Blick auf ein Bauwerk, dass eigentlich ein betonierter Fremdkörper ist. Wie viele Autos sind wohl schon an dieser frühen Schallschutzwand vorbeigefahren?
"Der befürchteten und wahrscheinlich auch eintretenden Lärmbelästigung der anliegenden Bewohner begegnete man durch den Einbau einer Schalldämmung, die hinter der wabenartigen Mauer verborgen ist."
Jetzt, wo es wenig Schall gibt, machen sich’s die Tauben bequem. Rolf Schulten hat hier eines seiner Motive gefunden.
Rolf Schulten, Fotograf
"Die Autobahn wurde so gebaut, dass eigentlich nur drei, vier Meter Platz ist zwischen Fassade und Schallschutzwand. Also, es ist sehr eng und sehr verdichtet. Und dieser Spiegel hilft dann den Bewohnern, ihre Parkmöglichkeit zu finden, weil es ne Tiefgarage da gibt. Also auch die Autonutzung steht da auch im Vordergrund. Für mich zeigt das die Verdichtung und der Spiegel war für mich dann so ein ironischer Kommentar dazu."
Und überhaupt – wie kommt eigentlich die Autobahn direkt vor’s Wohnhaus?
In den 60ern wurde beherzt ins Stadtbild eingegriffen – für die autogerechte Stadt. Rolf Schulten zeigt uns das Kreuz Schmargendorf - von unten. Brutalismus kann auch von kühler Schönheit sein.
Rolf Schulten, Fotograf
"Das ist ein ganz besonderes Licht an dem Tag gewesen, an dem ich hier war. Es hatte vorher geregnet und die Sonne brach raus und spiegelte sich über die Pfütze an die Unterseite dieser Fahrbahn."
"Die Berliner Stadtautobahn wurde ja geplant und gestaltet für den Blick des Autofahrers, die schwingenden Kurven, man sollte sich wohl fühlen, auf der Autobahn. Ich kenne diesen Blick, aber wenn ich mich neben die Autobahn stelle oder darunter oder davor, dann sehe ich etwas ganz Anderes. Dann sehe ich eine wuchtige, massive Präsenz, die alles Andere verdrängt, was einen menschlichen Maßstab hat."
Auch dieses Bild ist am Kreuz Schmargendorf entstanden – inzwischen ist auch noch der Baum abgesägt. Noch trostloser.
Am Anfang seiner Arbeit stand diese Aufnahme – die abgestellte Kloschüssel vor der glatt gekachelten Autobahnwand – für Rolf Schulten ein bizarres Bild, das ihn aber motivierte, die A100 in den Blick zu nehmen. Hier, wo Autobahn und eine alte Bahnlinie den Teltowkanal kreuzen, kann die Stadtautobahn glatt etwas wild-Verträumtes haben. Rolf Schulten ist etwas hin- und hergerissen zwischen Faszinaztion und Ablehnung.
Rolf Schulten, Fotograf
"Es ist ambivalent, aber um etwas zeigen zu wollen, muss ich Bilder machen, die man sich gerne ansieht. Und man denkt ja über Bilder nach, wenn man sich Bilder anschaut. Und sie wirken ja auch nach – im Kopf, im Herzen. Das versuche ich jedenfalls zu erreichen."
Als Kind hat Rolf Schulten die autofreien Sonntage in den 70ern erlebt – und sie schon damals als befreiend empfunden. Heute wird dann doch noch die A100 in Berlin-Neukölln verlängert – trotz aller Proteste. Noch sind wir weit entfernt von Rolf Schultens persönlicher Utopie.
Rolf Schulten, Fotograf
"Ich habe ja die melancholische Hoffnung, dass die Autobahn irgendwann so aussieht, wie auf meinen Bildern, nämlich weitgehend leer. Es ist halt einfach das Gefühl, dass dieser Bau ein bisschen aus der Zeit gefallen ist und ein künftiger lost place ist. So fühlt sich das für mich manchmal an – auf den Bildern habe ich versucht, dieses Gefühl manchmal darzustellen."
Am Ende seines Fotobands erobern Radfahrer die Autobahn. Rolf Schulten fährt selbst auch am liebsten Fahrrad. Ein Auto hat er aber auch – als Fotograf geht’s nicht ohne. Es ist halt noch nicht Ende Autobahn.
Autor: Steffen Prell