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Nadya Tolokonnikova ist Künstlerin, Aktivistin und Gründerin des feministischen Kollektivs Pussy Riot. Über ein Jahrzehnt hat sie mit spektakulären Aktionen gegen Autoritarismus protestiert. Sie saß in Lagerhaft, steht noch heute auf Fahndungslisten. Die Galerie Nagel Draxler zeigt jetzt zum Gallery Weekend ihre Kunst, unter anderem einen Nachbau ihrer Zelle. Wir sind beim Aufbau dabei und interviewen Nadya Tolokonnikova an einem geheimen Ort per Videoschalte, weil sie derzeit nicht reisen kann.
Der Protest hat sich verwandelt: Jetzt ist er ausstellungstauglich. Ein Molotow-Cocktail in einem adretten Holzkästchen mit rosa Flasche - Preis: 8.000 Dollar. Solche Schutzschilde nutzt die Polizei auf Demonstrationen. Nadya Tolokonnikova hat Blumen geritzt in das Metall - und in kyrillischer Schrift ihr Credo: Ich werde überleben.
Eigentlich wollte die Künstlerin zur Eröffnung ihrer Ausstellung "Wanted" nach Berlin kommen. Aber Reisen ist inzwischen für sie zu gefährlich. Deshalb sprechen wir per Videocall über ihre Kunst.
Nadya Tolokonnikova, Künstlerin
"Mir geht’s um Gegensätze - schon beim Namen "Pussy Riot": einerseits die Vulva, die von der Gesellschaft als etwas Weiches gesehen wird - andererseits das Wort "Aufstand", genau das Gegenteil.
Bei den Polizeischilden geht es auch um das Harte im Kontrast zu den niedlichen Blumen. Wenn ich auf Demos gehe, trage ich einen "Hello Kitty"-Rucksack - damit die Polizei richtig blöd dasteht, wenn sie mich verhaftet."
Im Gefängnis saß Nadya Tolokonnikova knapp zwei Jahre in Russland. Die Strafe für die Kunstaktion in der Moskauer Erlöser-Kathedrale, die "Pussy Riot" 2012 weltberühmt machte. In bunten Strumpfmasken baten sie die Muttergottes, Putin aus dem Präsidentenamt zu vertreiben.
Das Moskauer Gericht verurteilte die Aktion als: "Rowdytum aus religiösem Hass". Doch "Pussy Riot" hatte ein ganz anderes Motiv.
Nadya Tolokonnikova, Künstlerin
"Wir führen Punkkonzerte auf, weil der russische Staat so verschlossen, so steif, so kastenartig ist, weil seine Politik ganz bestimmten Unternehmensinteressen dient, dass es uns weh tut, russische Luft zu atmen."
21 Monate lang war Nadya Tolokonnikova in einem Straflager inhaftiert. In der Galerie wird jetzt ihre Gefängniszelle nachgebaut.
Nadya Tolokonnikova, Künstlerin
"Ich bin immer noch traumatisiert von den zwei Jahren in Haft. Ich versuche alles Mögliche, um damit klarzukommen: Medikamente, Psychotherapie - und Kunst ist eine der wichtigsten Methoden für mich."
Mit solchen Kunst-Aktionen gehörten die Frauen von "Pussy Riot" zu den eindringlichsten Stimmen, die schon früh vor Putin und seinem Regime warnen.
Nadya Tolokonnikova konnte Ende 2013 die Zelle verlassen, die sie jetzt zum Gegenstand ihrer Kunst macht.
Nadya Tolokonnikova, Künstlerin
"Ich wünsche mir, dass Leute in die Zelle kommen und hier vielleicht verstehen, wie ernst die Lage in Russland ist für Leute - vor allem für Kunstschaffende - die sich politisch äußern. Es geht aber nicht nur um das Regime in Russland. Wir sind traurigerweise an einem Punkt, an dem sich autoritäre Machtstrukturen verbreiten wie eine Geschlechtskrankheit - quer durch Europa."
"Wut" heißt das letzte Musikvideo, das Nadya Tolokonnikova 2021 noch in Russland produzieren kann.
Polizisten stören die Dreharbeiten - wegen angeblicher illegaler "homosexueller Propaganda". Seitdem arbeitet die Künstlerin im Exil.
Nadya Tolokonnikova, Künstlerin
"Russin zu sein, ist sehr schwierig - für mich persönlich und auch auf der gesellschaftlichen Ebene."
Es sind Materialien wie Birkenholz, die Tolokonnikova für sich nutzt - oder die Farbe Silber, so wie im Hintergrund orthodoxer Ikonen.
In diesen Vitrinen werden bald die Überreste einer Performance ausgestellt, in der die Künstlerin ihre persönliche Rache an Wladimir Putin zelebriert hat: Für "Putin’s Ashes" hat Tolokonnikova ein Porträt des russischen Präsidenten angezündet.
Nadya Tolokonnikova, Künstlerin
"Es war extrem befriedigend, ihn brennen zu sehen und seine Asche zu sammeln. Die Asche zeige ich in der Ausstellung. Wenn Leute sie kaufen würden - das fände ich großartig! Das Brooklyn Museum hat sie gesammelt und auch das MOCA in Los Angeles."
Doch die Aktion hat Nadya Tolokonnikovas Kunst nicht nur in Sammlungen gebracht. Russland hat sie als Kriminelle zur internationalen Fahndung ausgeschrieben.
Nadya Tolokonnikova, Künstlerin
"Das Gruselige an dieser Fahndungsliste ist, nicht zu wissen, wohin ich noch sicher reisen kann, welches Land mich vielleicht an Russland ausliefern würde. Ich will es nicht ausprobieren, der Preis ist hoch: In Russland würde ich wohl den Rest meines Lebens in Haft verbringen."
Es geht den Aktivistinnen von "Pussy Riot" nicht nur um Russland. Sie warnen vor autoritärer Politik weltweit - letztes Jahr an der Neuen Nationalgalerie in Berlin oder kürzlich bei einer Aktion in Texas.
Nadya Tolokonnikova, Künstlerin
"Wir sind keine Punk-Band, auch kein Kunst-Kollektiv mehr. "Pussy Riot" ist eine Bewegung - und eine Methode."
Autorin: Anne Kohlick