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In ihrem Fotoband "Kein Halt mehr" porträtiert die Berliner Fotografin Denise Schmidt, genannt Nietze, rund 70 Akteure der Berliner Kulturszene: DJs, Schauspieler*innen, aber auch Türsteher*innen oder Burlesquetänzer*innen. Die Aufnahmen entstanden in der Zeit der Lockdowns und zeigen gleichzeitig den Stillstand einer Generation in der Pandemie. Die große Veröffentlichungsparty ist nun wegen der 4. Welle abgesagt worden.
"Kein Halt mehr", so heißt das Fotobuch von Denise Schmidt, genannt Nietze.
Denise "Nietze" Schmidt, Fotografin
"Grundsätzlich war mir ganz wichtig, die Diversität festzuhalten, die Berlin bietet in der Kunst- und Kulturbranche. Und das halt auch nicht nur innerhalb von Künstlern oder Künstlerinnen. Sondern eben auch - wo fängt eigentlich so ein System bei einer Veranstaltung an? Das geht beim Booker los oder Veranstalter. Bei jemandem, der ne Location einfach betreibt. Die Menschen, die man eben nie sieht, weil die im Hintergrund agieren."
Oliver Marquardt alias DJ Jauche fotografierte Nietze im Dezember 2020. "Oye Records" in der Oderbeger Straße ist er sein Stammplattenladen, seit 30 Jahren legt er in bekannten Clubs auf. Wie er porträtiert werden möchte, hat er selbst entschieden.
Oliver Marquardt, DJ
"Ich war halt gezwungen nicht zu arbeiten, deswegen meinetwegen diese Zwangsjacke als bildliche Darstellung. Und den Knebel habe ich noch dazu genommen, weil ich auch mundtot war eigentlich. Die Dinge, die ich zu sagen hatte, wurden nicht gehört und haben auch niemanden interessiert ne und ich hab auf einmal gemerkt: ja ist auch egal, ob du da bist oder nicht."
Nietzes Fotobuch ist ein Zeitdokument - und es ist eine Kritik am Kapitalismus. Welche Rolle können Kulturschaffende einnehmen, in unserer auf Nutzwert optimierten Gesellschaft. Einige der Porträtierten haben darüber Texte für das Buch geschrieben, so auch Oliver Marquard
Oliver Marquardt, DJ
"Wir leben halt auch in ner Welt, in der Kunst so nicht mehr gesehen wird. Ne, man hört als Künstler oft: du such dir mal `nen richtigen Job. Oder: naja, jetzt kannste nicht arbeiten, dann machste halt was anderes. Kann man als Künstler ja nicht tun. Da gehts nicht um Qualität sondern um Effizienz und das ist halt der falsche Weg, um mit Kunst und Kultur und Kreativität umzugehen."
Denise "Nietze" Schmidt, Fotografin
"Glaube ich auch und vor allen Dingen ist glaube ich für viele Kreativität nicht greifbar ne. Das ist halt ein Prozess, der irgendwie abläuft durch Erfahrung, Emotionen, Krisen - whatever. Also bei Kreativität wie erklärt man das ne?"
- "Joa, schwierig."
Die Existenzängste, kreativ sein unter wirtschaftlichem Druck – Corona verschärft dieses Problem für Kulturschaffende.
Oliver Marquardt, DJ
"Also ich hab mein Leben lang noch nie an Übermorgen gedacht im Prinzip, wenn ich praktisch immer in die Zukunft planen würde, würde ich wahrscheinlich gar nicht arbeiten können. Weil dann würdest du wahrscheinlich die ganze Zeit mit Ängsten zu tun haben, die dich irgendwie bremsen."
Denise "Nietze" Schmidt, Fotografin
"Es sagen ja ganz viele immer zurück in die Normalität. Was heißt denn eigentlich Normalität? Also das, was davor war, ist ja jetzt nur das, was mit `nem Brennglas so gefühlt noch mal hervorgehoben wird und uns verdeutlicht, wo wir eigentlich stehen."
Oliver Marquardt, DJ
"Also im Moment haben wir ein riesen Trauma zu überwinden ne und was danach kommt, müssen wir dann gemeinsam schaffen. Also wäre meine Hoffnung."
Zur Buchpremiere vor zwei Wochen hatte Nietze gemeinsam mit ihrer Freundin, der Schauspielerin Marie Scherzer, eine große Veranstaltung in der Kulturbrauerei vorbereitet. Und schon wieder geht das nicht, wegen Corona.. Marie Scherzer war die erste Person, die Nietze auf einem Dach in Pankow für ihr Buch fotografierte.
Denise "Nietze" Schmidt, Fotografin
"Weil dein Statement so ein bisschen war, einen Perspektiv-Wechsel müssen wir durchmachen."
Marie Scherzer
"Für mich war dieses Dach so eine Metapher für: Man muss auch die Kunst oder das, was man arbeitet, seine Passion schon ein bisschen transformieren in der Pandemie. Also man ist gezwungen, so ein bisschen umzudenken und zu versuchen: ok, was ist denn jetzt möglich?"
"Kein Halt mehr", der Titel von Nietzes Buch ist bewusst doppeldeutig: Die Porträtierten sollen den Halt nicht verlieren, aber gleichzeitg sich nicht nicht zurück"halten" lassen, auch wenn der nächste Lockdown kommt.
Autorin: Lilli Klinger