E.T.A. Hoffmanns Werk "Der Sandmann" © dpa/Soeren Stache
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Erzählung - "Der Sandmann" von E.T.A. Hoffmann

E.T.A. Hoffmann, dessen Todestag sich heute zum 200. Mal jährt, war als Künstler enorm vielseitig: Er war Komponist, Zeichner und höchst produktiver Autor, der innerhalb von nur wenigen Jahren ein sehr umfangreiches Werk hinterlassen hat. Daraus hat sich Tomas Fitzel exemplarisch eine Erzählung herausgesucht und sie wiedergelesen: "Der Sandmann".

"Der Sandmann" gehört sicher zu den bekanntesten Texten von E.T.A. Hoffmann, da diese Erzählung, eines seiner "Nachtstücke", die 1817 erschienen, vielfach in der Musik und im Film, aber auch von anderen Autoren adaptiert wurde. Etwa in Jacques Offenbachs Oper "Hoffmanns Erzählungen". Und nicht zuletzt verwendete sie Sigmund Freud als Beleg für seine Theorie des Unheimlichen. Daher scheint sie bekannt, ohne dass man sie vielleicht wirklich gelesen hätte.

Gerade deswegen rentiert sich die Lektüre, denn bei E.T.A. Hoffmann muss man sich immer vergewissern, ob das, was wir glauben zu lesen, wirklich auch so da steht. Und darum geht es in diesem Text: Das was wir zu sehen glauben oder zu sehen wünschen, ist nicht immer das, als was es erscheint.

Die Erzählung besteht aus zwei Teilen und beginnt unvermittelt mit einem Briefverkehr zwischen dem Studenten Nathanael, seiner Verlobten Clara und ihrem Bruder Lothar. Nathanael schildert darin, wie durch eine Begegnung eine frühe traumatische Kindheitserinnerung wachgerufen wird.

Der Sandmann bei Hoffmann ist ein alptraumhafter Dämon

Der Sandmann ist zur Zeit von E.T.A. Hoffmann ein alltäglicher Dienstleister, der feinen, sauberen Sand zum Scheuern und Waschen in die Haushalte bringt. Im Gegensatz zu der sanft friedlichen Gestalt in den sonst üblichen Geschichten, um Kinder zum Einschlafen zu bringen, ist er bei E.T.A. Hoffmann ein alptraumhafter Dämon, der den Kindern die Augen ausreißt. Damit wird Nathanael als Kind von der Amme gedroht. Er verbindet wiederum diese Spukgestalt mit einem geheimnisvollen, nächtlichen Besucher, Coppelius, der mit seinem Vater vermutlich alchemistische Experimente durchführt und bei denen der Vater bei einer Explosion ums Leben kommt. Der Besuch eines neapolitanischen Optikers und Brillenmachers mit Namen Coppola ruft in ihm diese Erinnerung wach und er glaubt, Coppola sei niemand anderes als Coppelius, den er zur Verantwortung ziehen will.

Schauergeschichte und höhnische Satire zugleich

Je mehr seine Verlobte Clara, die ganz für Verstand und Rationalität steht, ihn von diesem Wahn abbringen will, desto mehr entfremdet sich Nathanael von ihr. Aus der warmherzigen Verlobten wird sie in seinen Augen mehr und mehr zu einem kalten Automaten.

Umgekehrt wird Olimpia, eine meisterhaft konstruierte mechanische Puppe seines Physiklehrers, zur belebten und angebeteten Frauengestalt. Mit einem Fernglas, das er von Coppola kaufte, beobachtet er sie in der gegenüberliegenden Wohnung. Erst in seinem Blick wird sie lebendig. So wahnhaft er sich anfangs vor Coppola fürchtete, so wahnhaft verliebt er sich jetzt in diese Puppe bis zur Lächerlichkeit. Denn was alle sehen, dass sie ein Automat ist, kann er nicht erkennen.

Nathanael nimmt ein schreckliches Ende. Damit folgt E.T.A. Hoffmann ganz den beliebten Vorbildern der romantischen Schauergeschichten. Aber "Der Sandmann" ist zugleich eine höhnische Satire auf das romantische Liebesideal, bei dem Frauen zu bloßen Objekten werden.

Eine aktuelle und sehr präzise Erzählung

Nathanael ist glücklich, wenn Olimpia seinen endlosen Monologen scheinbar geduldig zuhört und doch nicht mehr als je ein "Ach, ach ..." sagen kann. Mehr wollten seine romantisch gesinnten, männlichen Zeitgenossen wohl nicht. Aber der Text ist zudem voller Fallen, ein Detektivspiel, bei dem Spuren von Anfang an ausgelegt werden. In den Wahn, in den sich Nathanael verstrickt, soll auch der Leser gelockt werden. Insofern ist diese Erzählung eine höchst aktuelle, die sehr präzise die Mechanismen aufzeigt, wie Menschen sich Verschwörungsmythen und andere Wahnsysteme verfangen.

Tomas Fitzel, rbbKultur

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