Norbert Kron, Schriftsteller, Journalist u. Filmemacher © Jens Staeder
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Roman "Der Mann, der E.T.A. Hoffmann erfand" - "E.T.A. Hoffmann hat sich verbrannt mit all seinen künstlerischen Bestrebungen"

Wir sind mitten im E.T.A. Hoffmann-Jahr 2022. Doch was genau wissen wir über diesen Schriftsteller der deutschen Romantik? Der Schriftsteller Norbert Kron hat in einem Roman ein eher unbekanntes Kapitel im Leben E.T.A. Hoffmans beleuchtet, die Freundschaft zwischen E.T.A. Hoffmann und seinem Mentor und Biografen Julius Eduard Hitzig. Dessen Kinder etwa sind in Hoffmanns Märchen "Nussknacker und Mausekönig" verewigt.

rbbKultur: Herr Kron, lassen Sie uns schwärmen von einem Text E.T.A. Hoffmanns … Welcher begeistert Sie denn am meisten?

Norbert Kron: Man könnte von so vielen Texten schwärmen, aber ich picke mal das Märchen "Nussknacker und Mausekönig" heraus. Ein wundervolles Märchen, das genau diese märchenhaft-kindliche Seite Hoffmanns hat und gleichzeitig dieses Element, was er alles hinterlassen hat. Tschaikowskys "Nussknacker" ist zum Beispiel einfach nach der Story dieses Märchens als Ballett entwickelt worden. Und die beiden Kinder, die in diesem Märchen vorkommen, sind die Kinder von Julius Eduard Hitzig - seine realen Kinder. Hoffmann hat es dafür geschrieben - und so sind sie unsterblich geworden.

rbbKultur: Wenn man Ihr Buch aufschlägt, dann liest man ganz am Anfang: "Dieses Buch ist meinem Vater Wolfgang Kron" gewidmet. Sie nennen Ihren Vater da einen "E.T.A. Hoffmann-Forscher". Er hat sich also ganz umfassend mit diesem Autor beschäftigt?

Kron: In der Tat. Mein Vater ist in Nauen geboren und hat an der Humboldt-Uni nach dem Krieg Romantik studiert. Das ist genau das Umfeld: Hoffmann hat am Gendarmenmarkt gelebt, Hitzig in der Friedrichstraße, in der Schützenstraße. Ich habe mich gefragt: Warum hat er sich für E.T.A. Hoffmann interessiert? Denn mein Vater wurde krank, als ich in die Pubertät kam und mich für Literatur interessiert habe. Er war dann zehn Jahre lang ein Pflegefall und lebte, ohne noch sprechen zu können, in der großen Bibliothek mit fünf E.T.A. Hoffmann-Ausgaben, von denen er eine herausgegeben hat. Ich wollte immer mal wissen: Wer war er eigentlich - und warum diese romantische Seele? Und so kam eigentlich dieser Impuls, mich mit E.T.A. Hoffmann auch biografisch zu beschäftigen.

rbbKultur: Sie haben jetzt schon mehrere Brücken zwischen Hoffmann und Hitzig, ihrem eigentlichen Romanhelden, geschlagen. Wie sind Sie überhaupt auf diese enge Beziehung zwischen den beiden Männern gestoßen?

Kron: Julius Eduard Hitzig ist der erste Biograf von E.T.A. Hoffmann. Man liest unweigerlich seine historische Biografie von 1823. Hoffmann ist ja 1822 verstorben – tragisch, am Gendarmenmarkt. Und dann dachte ich mir: Hoffmann und Hitzig – das ist irgendwie witzig: die zwei als Figurenpaar. Ich guckte dann tiefer in die Biografie von Hitzig hinein - es gibt eine tolle Dissertation über ihn. Und dann stelle ich fest: Er hieß eigentlich Itzig und kommt aus einer bedeutenden jüdischen Familie an der Seite der Mendelssohns. Das heißt, es ist eine Geschichte über Konversion zum Christentum, auch über jüdische Aufklärung. Man taucht ein in einen Kosmos, der so eine Tiefendimension hat. Da hat mich dieser Hitzig mit all dem, was er wirklich geleistet hat für die romantische Literatur in dieser Zeit, sehr, sehr fasziniert.

rbbKultur: Ein Detail, das Sie zum Beispiel erzählen, ist, dass Julius Eduard Itzig übertreten musste zum Christentum, weil er im preußischen Staatsdienst arbeiten wollte, was Juden in dieser Zeit offenbar nicht gestattet war.

Kron: So ist es. Sein Großvater hatte zwar als erster Jude von Friedrich dem Großen das Naturalisationspatent erhalten - er war dann voller Staatsbürger. Das hatten aber Juden damals nicht - erst mit dem Edikt, was dann später unter der napoleonischen Besatzung kommt. Der junge Itzig, der Enkel, tritt 1799 über zum Protestantismus. Aber er tut das mit gemischten Gefühlen, denn er ändert erstmal nur seine Vornamen und bleibt so lange noch Itzig. Er hat eben auch eine Sehnsucht nach der romantischen christlichen Literatur. Das ist sozusagen der Beginn dieses Lebens und als er Hoffmann kennenlernt, da ist er genauso zerrissen, wie es Hoffmann sein Leben lang war.

rbbKultur: Ihr Buch ist nicht nur ein Freundschafts- und Künstlerroman, sondern Sie entfalten auch ein Zeitpanorama. Jetzt ist der Romantitel selbst schon eine starke These: "Der Mann, der E.T.A. Hoffmann erfand" - und das sei eben Julius Eduard Hitzig gewesen. Inwiefern hat er denn E.T.A. Hoffmann erfunden?

Kron: In zweierlei Hinsicht. Zum einen, weil er uns mit der Biografie, die er geschrieben hat und in der er auch den Nachlass von Hoffmann sortiert und ausgewählt hat, ein Bild von Hoffmann hinterlassen hat, das sozusagen von ihm gestaltet wurde. Das andere ist, wie ich schon sagte: Hitzig war ein Fan, ein leidenschaftlicher Vertreter der jungen romantischen Literatur - und das war Hoffmann am Anfang nicht. Hoffmann war jemand, der immer hin zur Musik wollte. Es ist sehr, sehr schöne Musik! Aber er hat damit nie Weltruhm erreicht. Er hat nicht diesen Quantensprung vollzogen wie dann in seinen Texten. Und er hat uns leider offenbar auch keinen "Hit" hinterlassen. Dann wäre er vielleicht auch in die Musikgeschichte eingegangen.

Es war Hitzig, der Hoffmann mit den romantischen Schriftstellern, mit den Verlegern bekannt gemacht hat und der ihm in meinem Roman - und ich sage: das war so, das ist sozusagen der Kern ihrer Freundschaft - gesagt hat: So wie du erzählst - so fantastisch, so bildreich! Du musst schreiben! Und diesem Rat folgt Hoffmann dann irgendwann.

rbbKultur: Wobei diese Freundschaft doch auch eine Unwucht hat, oder? Hoffmann ist das bewunderte Genie, Hitzig findet ihn großartig. Hoffmann kann das, was er gerne selbst können würde, nämlich schreiben und kreativ sein. Hoffmann hat diese Freundschaft doch nicht in gleicher Weise erwidert?

Kron: Ich würde sagen, dass sie sich beide gegenseitig gebraucht haben. Hoffmann brauchte Hitzig immer wieder in ganz dramatischen Lebenssituationen: Nach dem Sieg Napoleons waren beide ganz runtergekommen, möchte man sagen. Hoffmann fleht Hitzig immer wieder an: Was soll ich tun? Es ist 1807. Auch am Sterbebett, 1822, ist es Hitzig, der seinen letzten Text, den "Meister Floh", lesen und überprüfen soll. Hoffmann ist da gelähmt und kann nur noch diktieren.

Das ist das eine. Die andere Seite ist eben, dass Hitzig in Hoffmann schon ein Pendant, einen Seelenverwandten in dieser Künstlernatur sieht, die er auch selber hat. Aber weil er sie so nicht ausleben kann, braucht er Hoffmann als jemanden, dessen Biografie er schreibt und worüber er dann eben auch in die Geschichte eingehen kann.

rbbKultur: Was einem beim Lesen Ihres Buches auffällt: Sie verwenden lauter altertümliche Wörter: Ein "Aktenbalg" begegnet einem, "Salbadern" kommt vor und noch viele andere Wörter, die heute nicht mehr gebräuchlich sind. Hat Sie diese Zeit vor 200 Jahren so gepackt, dass Sie da auch sprachlich hineingestürzt sind?

Kron: Wenn man diese Briefwechsel liest, ist ja immer diese Sprache um einen herum, das steckt dann an. Am Anfang macht man sich erstmal einen Jux und nimmt es so ein bisschen auf, um auch eine ironische Fröhlichkeit in den Text zu bekommen. Das hat sich dann in der Orthografie teilweise fortgesetzt. Der Verleger fand es super, wir wollten es aber nicht übertreiben, weil dann auch das Lesen manchmal schwierig ist – so wie man mittelhochdeutsche Texte dann auch nur schwer lesen kann.

rbbKultur: Der Klappentext Ihres Buches spricht vom "feuerwerkshaften Künstlerleben" E.T.A. Hoffmanns. Mir war bei aller Bewunderung gar nicht bewusst, in was für einer wahnsinnig kurzen Zeit er dieses doch große, feuerwerkshafte Werk geschaffen hat. Wie würden Sie das benennen, was ist das in seinem Leben?

Kron: Er hat sich förmlich verbrannt mit all den künstlerischen Bestrebungen, die er hatte. Ein kleiner Querverweis: Er kommt mir vor wie Rainer Werner Fassbinder, der auch so eine Werk-Lebens-Einheit hatte - als Künstler, als Mensch - auch mit dem Drogenkonsum. Bei Hoffmann ist es eben der Wein: Er geht ins Weinhaus "Lutter & Wegner" und muss sich am Abend immer erstmal "montieren", wie er sagt – sich also einen ansaufen, um dann schreiben zu können. Beide sind unglaublich aus dem heutigen Leben gegriffene Typen, die in unserer Künstlerstadt auch in entsprechenden Kneipen sitzen könnten und einfach dieses exzessive Künstlerleben führen.

Das Gespräch führte Frank Meyer, rbbKultur. Es handelt sich um eine redigierte Fassung.