Michael Volle © Carsten Sander
rbbKultur
Bild: Carsten Sander Download (mp3, 15 MB)

Wotan im "Rheingold" an der Staatsoper Berlin - Michael Volle, Bariton

Der Bariton Michael Volle ist ab kommender Woche in der Neuinszenierung von Richard Wagners Ring des Nibelungen hier in Berlin an der Staatsoper in der Partie des Wotan zu erleben. Es ist das Highlight der Opernsaison an der Oper Unter den Linden. Michael Volle gilt als einer der führenden Baritone weltweit und hat auf den großen und wichtigen Opernbühnen der Welt gestanden.

rbbKultur: Herr Volle, Wagner sieht in seinem Wotan die "Summe der Intelligenz" der Gegenwart – nicht weniger. Wie sehen Sie den Göttervater Wotan?

Michael Volle: Wer hat denn DAS gesagt? (lacht)

rbbKultur: Das soll angeblich Wagner selber gesagt haben ...

Volle: Dann ist es eine sehr vielschichtige Intelligenz, finde ich. Wotan ist schon eine sehr komplexe und sehr interessante Figur. Göttervater oder ein sich im Abstieg befindender Herrscher eines Geschlechts. Er verliert immer mehr an Potenz und an Souveränität. Das ist schon sehr spannend und beileibe nicht so glorios, wie ich dachte, bevor ich mich mit dem Ring beschäftigte. Es geht straight zur Götterdämmerung hin.

rbbKultur: In der aktuellen Inszenierung ist der gesamte Zyklus ein Art Zukunftsinstitut, in dem die Rettung der Menschheit verhandelt wird. Welche Rolle spielt denn da der Wotan?

Volle: Ob es ein Zukunftsinstitut ist, will ich mal dahingestellt lassen. So etwas gibt es leider auch schon in unserer Realität, nehme ich an. Wotan ist der Chef des Unternehmens. Allerdings ist seine Rolle sehr unterschiedlich, weil von Stück zu Stück große Zeitsprünge stattfinden. Von der "Walküre" zum "Siegfried" sind es locker 40 Jahre. Dementsprechend sieht man auch aus und dementsprechend ist auch die Situation im Labor, im Unternehmen.

Ich will jetzt nicht zu viel verraten, aber in "Siegfried" ist der Chef des Unternehmens nicht mehr so ganz der Chef …

rbbKultur: Gibt es einen Menschen aus dem gegenwärtigen Leben, den Sie in Wotan wiedererkennen könnten?

Volle: Naja, mir ist nicht ganz wohl, wenn ich an manche Ergebnisse der Wissenschaft – zum Beispiel Künstliche Intelligenz – denke und daran, was vielleicht schon im Werden ist, das auf uns zukommt, von dem wir noch gar nichts wissen. Da wird’s eher unwohl. Ich denke, das war auch der Grund, warum ich in der "Walküre" in die Vorhaltungen meiner Frau Fricka einwillige, die meine nicht ganz legalen Dinge entdeckt und mir vorhält und dadurch erzwingt, dass ich mein "Forschungsobjekt", den Sigmund, fallen lasse.

Der Wotan ist eine große, muskuläre, sportive Herausforderung, die man bewältigen muss. Man muss mit seiner Kraft gut umgehen. Ich werde keine großen Wanderungen machen oder ausgelassene Partys feiern - sonst wird es nichts mit dem Ring.

rbbKultur: In den drei Teilen des Rings haben Sie als Wotan etwas zu tun – und wir wissen, dass sich die Abende über mehrere Stunden dehnen. Das ist sicher ein gewaltiger Kraftakt. So viele Stunden in der Woche auf der Opernbühne - wie bewältigen Sie das?

Volle: Das merke ich schon. Ich habe bisher "nur" zwei Zyklen gemacht. "Rheingold" und "Walküre" kommen immer hintereinander und dann hat man im Normalfall zwei Tage Zeit, sich für den "Siegfried" zu regenerieren. Dann gibt es für Brünnhilde und Siegfried noch einmal zwei Tage Zeit, um in die "Götterdämmerung" zu gehen - in einer Woche, von Sonntag bis Sonntag.

Obwohl das "Rheingold", das von der Komposition und der Behandlung der Stimme ganz anders ist – zum Beispiel für den Wotan, der im "Rheingold" gar nicht die Hauptrolle hat -, ist man trotzdem die ganze Zeit auf der Bühne. Es ist eine physische Beanspruchung - weniger eine vokale, die setzt dann vehement in der "Walküre" und im "Siegfried" ein. Es ist einfach eine große, muskuläre, sportive Herausforderung, die man bewältigen muss. Man muss mit seiner Kraft gut umgehen. Jeder macht das anders in der Vorbereitung zwischen den Tagen. Aber ich werde natürlich keine großen Wanderungen machen oder ausgelassene Partys feiern - sonst wird es nichts mit dem Ring.

rbbKultur: Eine Wotan-Interpretation sei nicht Sache des Dezibel-Ausschlags. Das haben Sie einmal gesagt. Was braucht Ihr guter Wotan?

Volle: Wir hatten gestern Abend Generalprobe der "Walküre". Wenn man sich allein das Orchester, die Staatskapelle, quantitativ anschaut, dann ist es ein Riesenhaufen, ein wunderbarer Haufen. (lacht) Aber wenn man an den zweiten Akt denkt, an den großen Monolog des Wotan, wenn Fricka ihn wirklich in die Ecke getrieben hat, er den Eid geleistet hat, dass er den Sigmund opfert - und dann kommt Brünnhilde und er erzählt ihr die ganze Sache … Was kurz danach kommt und was auch zwischendrin immer wieder aufblitzt, sind große Dezibel-Ausbrüche! Sehr, sehr laute Fortissimi mit Orchester. Dann geht es wieder zurück ins Pianissimo, ins Erklären, in einen narrativen Charakter.

Das ist auch die große Herausforderung und eine große Freude, wenn das gelingt. Aber es ist wirklich ein Hin und Her zwischen laut und leise.

rbbKultur: Sie sind nicht unbedingt in einer Musikerdynastie groß geworden. Sie waren das jüngste von acht Kindern in einem Pfarrershaushalt im Schwarzwald. Was haben Sie vom Nesthäkchen noch behalten? Kommt Ihre erstaunliche körperliche Präsenz auf der Bühne, Ihr Wotan, daher?

Volle: Ich habe keine Ahnung, aber was sicher ein Grund sein könnte für zumindest eine gewisse Hemmungslosigkeit, sich vor Menschen zu präsentieren, ist das Großwerden auf dem Dorf. Man gehört zu einer Familie, die mehr im Fokus ist als andere, wie es früher war - als Pfarrersfamilie, als Direktor, als Zahnartz ... Dann ist man als Kind auch im Blickfeld der Öffentlichkeit. Da habe ich wahrscheinlich so eine gewisse Scheu verloren, vor Menschen aufzutreten. Die muss man natürlich auch verlieren, wenn man auf die Bühne geht. Sonst geht es nicht.

Das Gespräch führte Carolin Pirich, rbbKultur. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Fassung. Das Gespräch in voller Länge können Sie als Audio nachhören.

Mehr