Heute zu Gast -
Freundschaft ist das große Thema, dem sich die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci in diesem Jahr widmen. Dorothee Oberlinger, die die Festspiele seit 5 Jahren leitet und als große Expertin für Alte Musik bekannt ist, hat das Programm ausgefeilt. Über die Höhepunkte erzählt Dorothee Oberlinger auf rbbKultur.
rbbKultur: Frau Oberlinger, es sind noch fünf Tage bis zur Eröffnung. Sie selbst treten am ersten Abend nicht als Musikerin auf, sondern spielen zum Beispiel am Sonntag, dem 11. Juni, zusammen mit dem Lautenisten Edin Karamazov Bach. Wie fühlt sich das dann für eine Festspielleiterin an? Haben Sie vor einem Eröffnungskonzert auch Lampenfieber?
Dorothee Oberlinger: Oh, ja, ich habe fast mehr Lampenfieber, wenn ich im Publikum sitze und zuhöre und denke „Mensch, hoffentlich wird es ein tolles Konzert, hoffentlich gefällt es den Leuten", als wenn ich selber auf der Bühne stehe, da habe ich es ja irgendwo noch in der Hand.
rbbKultur: Aber bekommen Sie denn im Publikum mehr mit von der Atmosphäre, als wenn Sie auf der Bühne stehen?
Dorothee Oberlinger: Absolut, ja! Auf der Bühne kriegt man mehr mit, als man so denkt. Man merkt, ob man eine Stecknagel fallen hören kann oder ob das Publikum unruhig ist. Das ist meistens ein Zeichen dafür, dass die Konzentration etwas abflacht. Wenn man drin sitzt, kriegt man noch mal mehr mit.
rbbKultur: Die Musikfestspiele haben ein Thema: „In Freundschaft“. Das verknüpfen Sie immer wieder mit dem Hofe Friedrich des Großen. Der hatte ja viele Freundinnen und Freunde – auch musikalische Freunde. Wie nehmen Sie dieses Thema „In Freundschaft“ im Festival auf?
Dorothee Oberlinger: Sie haben das Eröffnungskonzert erwähnt mit Ottavio Dantone von der Accademia Bizantina. Da gehts um das junge Preußen. Sophie Charlotte ist ja auch z. B. der Opus 5 von Corelli gewidmet, sie hat die Musiker verbunden, hat selber am Cembalo gesessen bei ihren Aufführungen auf Schloss Charlottenburg. Dann geht es weiter mit Komponisten und Interpretinnen – Freundschaften, es geht um die Geburt des bürgerlichen Konzerts, z. B. im Gewandhaus. Und auch Janitsch hat ja die sogenannten Freitagsakademien in Potsdam und in Berlin ins Leben gerufen. Da haben wir auch die Akademie für Alte Musik zu Besuch. Es geht um Bürgerinitiativen, die sozusagen „in Freundschaft“ versuchen, historische Räumlichkeiten aufrechtzuerhalten, wie z. B. das Jagdschloss am Stern, wo man dann beim Fahrradkonzert hinfahren kann, das ist das Thema des Fahrradkonzerts. Also ein vielschichtiges Thema, was auch für uns heute interessant ist.
rbbKultur: Wie ist es denn, wenn Sie – wahrscheinlich zusammen mit dem Dramaturgen – ein Thema ausgeheckt haben? Verschicken Sie es dann an die Künstlerinnen und Künstler, die Sie einladen, und diese kommen dann mit Vorschlägen? Oder haben Sie schon ganz klare Vorstellungen davon, was wie sein soll?
Dorothee Oberlinger: Das ist vice-versa. Es ist ein gemeinsames Brainstorming, auch mit den Musikerinnen und Musikern, und es kommen dann manchmal ganz unerwartete Sachen. Manchmal haben wir auch selber eine Idee und verknüpfen das dann. Zum Beispiel im Fall der Oper. Vor vielen Jahren, muss man fast sagen, ist die Universität Bayreuth an uns herangetreten, ob wir mal eine Oper aufführen wollen, zu der Wilhelmine von Bayreuth das Libretto geschrieben hat. Wilhelmine von Bayreuth ist die Schwester von Friedrich dem Großen und sie hat in ihrem Opernhaus in Bayreuth eine Oper gebracht, zu dem sie das Libretto schrieb und die sie auch mitkomponiert hat. Und wir bringen die Oper jetzt als Premiere im Schlosstheater am Wochenende. Am Sonntag ist die Premiere. Sie hat dann Friedrich da zum letzten Mal gesehen. Es ist eine schöne Koproduktion, auch unter anderem mit der Universität in Bayreuth.
rbbKultur: Eine barocke Opernfantasie aus dem Geiste der Aufklärung kann man lesen über "L’Huomo" – der Mensch. Die Premiere ist ausverkauft, aber es gibt derzeit noch Karten für weitere Vorstellung von "L’Huomo". Da gibt es Musik von Andrea Bernasconi und verschiedenen Komponistinnen und Komponisten. Sie haben eben schon Wilhelmine von Bayreuth "L’Huomo" genannt. Sie selber haben die musikalische Leitung mit Ihrem Ensemble 1700. Was ist denn "L’Huomo" für ein Stück, wie können wir es uns vorstellen?
Dorothee Oberlinger: So eine Art frühe Zauberflöte, könnte man sagen. Die Personen heißen hier nicht Pamina und Tamino, sondern der Mensch. "L’Huomo" wird aufgeteilt in die weibliche und männliche Seele, es gibt Animia und Anemone und sie sind den guten und bösen Kräften ausgesetzt. Dahinter steht ein aufklärerischer Gedanke, dass sie selber wählen können, ob sie gut oder böse sein wollen, und die männliche Seele verfällt eher den Versuchungen des Teufels und der Liebe. Aber am Ende ist alles wieder gut.
rbbKultur: Sie haben auch einige Werke mit klassischer Romantik im Programm. Schubert, Mendelssohn - warum? Weil den Romantikern Freundschaft besonders wichtig war oder weil es noch viele Briefe gibt, die davon zeugen?
Dorothee Oberlinger: Oh ja, natürlich. Bei Mozart zum Beispiel gibt es eine schöne Geschichte. Wir haben auch einen Duett-Abend mit Mozart-Duetten und Haydn-Duetten. Michael Haydn sollte für den Erzbischof Duette schreiben und hat’s einfach nicht geschafft in der Deadline. Dann hat Mozart ihm incognito mal schnell zwei Duette geschrieben. Man hat dann später erst in der Musikwissenschaft herausgefunden, dass sie gar nicht von Michael Haydn sind. Also, solche Sachen. Oder Sie haben Mendelssohn erwähnt. Er war Intendant im Gewandhaus in Leipzig. Und er hat natürlich nicht nur seine Musik dort präsentiert, sondern auch die Musik seiner illustren Freunde. So einen Pasticcioabend am Gewandhaus werden wir am ersten Wochenende unter der Leitung des jungen Dirigenten Jakob Lehmann erleben.
rbbKultur: Für einen anderen Schwerpunkt haben sie Jordi Savall engagiert. Er präsentiert ein Thema mit dem Titel – jetzt zitiere ich – „Sklaven Routen“, das heißt Weltmusik zwischen Afrika, Europa und Amerika. Ich würde denken, dass man sich bei dem Thema als Festivalleiterin ganz schön die Finger verbrennen kann. Gibt es denn eine historische Auseinandersetzung mit dem Thema Sklaverei?
Dorothee Oberlinger: Ja, also im Prinzip geht Jordi Savall diese Sklavenrouten in 500 Jahren Weltmusik ab, also sozusagen zwischen Afrika, Europa und Amerika. Die verschiedenen Länder, in denen das eine Rolle spielte und der Kolonialismus eine Rolle spielte, die kriegen hier eine Stimme. Und im übertragenen Sinne geht es hier eigentlich um Völkerfreundschaft. Wir haben eben vor unserem Interview die Nachrichten gehört und ich glaube, gerade in unseren Zeiten sollten wir wieder auch an diese blutige Vergangenheit denken und daran, wie sich Völker auch einigen und befreunden können.
rbbKultur: Ein Schwerpunkt bei den Musikfestspielen, den haben Sie schon angesprochen. Die Fahrradkonzerte, das ist ja ein Publikumsliebling. In diesem Jahr wird es, meine ich, drei Fahrradkonzerte geben. Wie erklären Sie sich denn den Erfolg?
Dorothee Oberlinger: Ja, also, das sind natürlich ungewöhnliche Orte, an die man kommt, wo man vielleicht auch normalerweise keine Musik hört. Und man kann dabei ein bisschen Sport machen. Es gibt auch eine Route für kurze Beine, also für Familien. Das ist einfach der Renner, weil die Leute an der frischen Luft sind – wir hoffen natürlich auf gutes Wetter – und sie dabei eben auch sehr viel über dieses bürgerliche Engagement kennenlernen, Orte kennenlernen, die sie vielleicht vorher noch nicht gesehen haben.
rbbKultur: Angewachsen beim Festival ist auch das Programm für Schulen und für Kitas. Sie wollen damit die Jüngsten erreichen, denke ich mir, das Publikum von morgen also. Aber wie kommt denn die Musik bei den Kindern an? Haben Sie eine ganz besondere Art die Musik zu vermitteln?
Dorothee Oberlinger: Ja, also, wir haben natürlich auch Formate, die sind sozusagen für alle gedacht und sollen also die Jüngsten miteinschließen bis 99 Jahre. Es gibt da zum Beispiel eine Wanderung in den Glindower Alpen, wo man zusammen wandert und singt. Das gab es in der Jugendmusikbewegung Anfang der Zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts schon mal, wo auch Alte Musik gespielt wurde und gesungen wurde. Und man lernt was über den Wald und auch das Ökosystem des Waldes. Und das ist zum Beispiel etwas, was sich wirklich an die ganze Familie wendet. Aber die Musik im Klassenzimmer oder in der Kita, da schicken wir junge Ensembles hin, die bei uns zu Gast sind, in Lunchkonzerten, und einen Wettbewerb machen. Das beste Ensemble wird dann zu einem Sonderprojekt im nächsten Jahr ausgewählt. Es gibt auch eine Jury, und die werden dann auch ihre Instrumente und ihre Musik präsentieren, eben in den Schulklassen und den Kitas.
rbbKultur: Am Freitag beginnen die Musikfestspiele Potsdam-Sanssouci in der Friedenskirche. Wir übertragen das Konzert auf rbbKultur. Der Titel des Konzerts ist "Harmonie an die Macht". Königin Sophie Charlotte macht Preußen-Freunde mit der Accademia Bizantina, sie spielt Musik von unter anderem Arcangelo Corelli, Alessandro Scarlatti und Georg Friedrich Händel. "Harmonie an die Macht" - Frau Oberlinger, wie ist das zu verstehen?
Dorothee Oberlinger: Ja, also, Harmonie meint natürlich die Harmonie der freien Geister am Hof von Sophie Charlotte, die sie auch zu sich gebracht hat. Und sie war ja auch mit Leibniz befreundet und schob die Berliner Akademie der Wissenschaften an. Sie hatte einen regelrechten Musenhof, kann man sagen. Und es war irgendwo auch das Vorbild für Friedrich den Zweiten. Ja, es sind Komponisten vertreten, die aber allerorten in Europa auf sich aufmerksam machten, wie Corelli oder Alessandro Scarlatti oder Giovanni Bononcini. Da freue ich mich sehr drauf. Wir werden auch eine Festrede des Freundschaftsforschers Professor Daniel Tyradellis hören, mit dem wir ja auch schon einen Podcast im Vorhinein gemacht haben.
rbbKultur: Und den finden Sie auch bei den Musikfestspielen Potsdam-Sanssouci auf den Webseiten. Mit der Leiterin der Musikfestspiele Potsdam-Sanssouci habe ich auf rbbKultur gesprochen. Vielen Dank, Dorothee Oberlinger.