Heinz Bachmann, Autor u. Geophysiker, Bruder von Ingeborg Bachmann © Walter Pobaschnig
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Erinnerungen und Bilder - Heinz Bachmann zu seinem Buch "Ingeborg Bachmann, meine Schwester"

Ein sehr persönliches Buch, in dem er aus dem gemeinsamen Leben mit seiner Schwester Ingeborg erzählt.

Sie kümmern sich mit Ihrer Schwester Isolde seit Jahrzehnten um das literarische Erbe von Ingeborg Bachmann. Sie haben lange gewartet, ehe Sie jetzt Ihre privaten Erinnerungen an Ihre Schwester veröffentlicht haben. Warum jetzt?

Ich habe persönlich nicht an eine Veröffentlichung gedacht. Ich habe zwar einige Notizen für die Familie gemacht, die aber nicht publizierbar sind. Der Piper Verlag ist an mich herangetreten und hat mich gefragt, ob ich das zum 50. Todestag machen würde. Der Umfang des Buches sollte etwa 100 Seiten sein. Es hat mich ein bisschen beunruhigt, ob ich das schaffe. Diese Art zu schreiben ist mir nicht geläufig. Ich habe mein Leben lang wissenschaftliche Berichte geschrieben und es ist eine sehr große Umstellung, etwas Lesbares zu schreiben.

Letztes Jahr ist der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch erschienen und hat viel Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommen. War es die Idee daran anzuknüpfen?

Nicht von meiner Seite. Ich habe diesen Zusammenhang nicht hergestellt. Aber es ist natürlich auffällig, dass das so kurz nach dieser Veröffentlichung stattfindet. Das ging vom Verlag aus. Von mir war das wirklich der Wunsch, zum 50-jährigen Todestag etwas zu schreiben, das von Interesse ist. Ich bin zusammen mit meiner Schwester einer der letzten Zeitzeugen, die sie noch gekannt haben.

Sie geben dieser Liebesbeziehung ihrer Schwester zu Max Frisch im Buch sehr wenig Raum. Sie beschreiben lediglich, wie Max Frisch auf Sie selbst gewirkt hat. Wollten Sie diese jahrzehntelang geführte Debatte nicht noch einmal aufgreifen?

Ich kann nicht auf schon Veröffentlichtes in dieser Beziehung eingehen. Es musste meine persönliche Erfahrung mit Max Frisch sein, und deswegen ist das – da ich ihm ja nur ein paar Mal begegnet bin – aus Sicht der Leser vielleicht etwas mangelhaft.

Es ist mir nur eines aufgefallen, als ich die Briefe vom Frisch an meine Schwester sah und diese damals der Nationalbibliothek mit 50-jähriger Sperre übergeben habe. Ein Großteil aller Briefe sind keine Originale. Ich habe das als etwas bizarr empfunden. Es sind sehr viele Briefe vernichtet. Es sind nur acht Briefe von Frisch im Nachlass Originale. Der Rest sind Durchschriften. Ich habe mich gefragt: wer macht so etwas?

Das Interessante an Ihrem Buch ist der Fokus, den Sie setzen. Es geht zum Beispiel darum, wie sich das Leben von Ingeborg Bachmann nach der Trennung von Max Frisch verändert hat. Wie würden Sie die Bedeutung der Familie für Ingeborg Bachmann beschreiben?

Ja, es hat sich nach der Trennung in der Beziehung zur Familie einiges geändert. Anfänglich ist der Kontakt weniger geworden. Es ging ihr nicht gut. Vielleicht wollte sie die Eltern nicht beunruhigen. Sie hat einige Krisen überwinden müssen.

Nach den überstandenen Operationen, die sie zum Jahreswechsel 1962/63 hatte, erzählte sie mir aber dann sehr fröhlich davon, 1964 diese Reisen nach Ägypten und Prag zu machen. Sie hat das Abenteuer geliebt.

Andererseits waren die Eltern immer wieder ihr Ruhepol. Sie ist dann doch wieder nach Klagenfurt gekommen, nach Obervellach bei Hermagor, weil sie sich dort sicher fühlte. Sie war in einer sehr exponierten Lage, als Schriftstellerin und alleinstehende Frau, die schreibt, berühmt ist und sehr viel auf Reisen ist. Der Ruhepol war das Elternhaus.

Sie selbst sind ja viele Jahre jünger als ihre Schwester und schreiben zu Beginn Ihres Buches: „Ich will Ingeborg in meiner Erinnerung festhalten, wie sie für mich war.“ Wie war sie denn für Sie?

Vielleicht doch sehr anders als die meisten Leser empfunden haben. Man hat mir immer wieder gesagt, es sei so schwermütig und schwierig. Sie war aber, trotz aller Krisen im späteren Leben, eine sehr fröhliche Person. Sie hat auch dumme Witze gemacht, die man ihr vielleicht nicht zutrauen würde. Es gibt schöne Briefwechsel mit zum Beispiel Kesten, der noch nicht publiziert ist.

Sie schreibt mit viel Humor an ihre Freunde, das hat man auch im Briefwechsel mit Hans Werner Henze gesehen. Einige Briefe, die im Zusammenhang mit Hildesheimer veröffentlicht worden sind, sind sehr komisch. Zu Hause hat sie immer lebhaft Anekdoten erzählt oder meine Frau und mich animiert für diese Begegnung mit Mathilde Münster in Italien am Strand. Das sind nette und komische Geschichten. Das ist etwas, das mir geblieben ist. Und so möchte ich das auch für mich erhalten.

Eine liebevolle ältere Schwester, die sich gekümmert hat, die sie besucht hat, wann immer es möglich war, die ihnen auch ein Praktikum in Israel finanziert hat. War das der Kern der Beziehung zu ihrer Schwester?

Absolut. Das hat schon in der Frühzeit angefangen. Die Verantwortung, die sie für mich mit der jüngeren Schwester Isolde übernommen hat, als Klagenfurt schwer bombardiert wurde und wir allein im Haus waren. Das ist die früheste Erinnerung. Das zieht sich dann eigentlich durch die Schulzeit und späteren Jahre. Als ich dann erwachsen war und schon selbständig, hat sich das ein bisschen umgekehrt. Ich konnte auch ihr helfen, dieser Zusammenhalt in der Familie war immer sehr stark.

Gegen Ende Ihres Buches taucht eine Formulierung immer wieder auf, wenn sie das Leben ihrer Schwester beschreiben. Wörtlich heißt es da: „Ein Wirbel, der nie aufhörte und körperlich wie seelisch sehr anstrengend war. Und sicher war der Wirbel auch in ihr selbst.“ Was war das für ein Wirbel?

Sie hatte zeitweise, vor allem in den frühen Jahren, ununterbrochene Verpflichtungen. Teilweise auch selbst auferlegte Verpflichtungen. Sie war ununterbrochen unterwegs und hat ihre Wohnorte gewechselt. Sie war unglaublich aktiv und hat wochenlange Lesungen in verschiedenen Städten Deutschlands, Schweiz, Österreich hinter sich gebracht. Letzten Endes war der Halt wieder bei meinen Eltern. Sie hat zeitweise aus dem Koffer gelebt, das muss unglaublich anstrengend gewesen sein.

An einer Stelle schreiben Sie: „Vielleicht hätte ich etwas machen können, vielleicht.“ Damit beschreiben Sie das Jahr 1972 und dann das Todesjahr von Ingeborg Bachmann 1973. Sie waren berufsbedingt als Geophysiker in Dakar. Was hätten Sie denn vielleicht helfen können?

Zu dieser Zeit hatte meine Frau den Plan, mit einer Nachbarin per Zug von Dakar nach Mali zu fahren, nach Bamako. Das war der Ansporn für meine Schwester. Mit der Zeitschrift STERN wollte sie damals eine größere Reise mit geländegängigen Autos im Senegal, Mauretanien und Mali unternehmen. Das wäre eine wunderbare Sache gewesen.

Wir wären einmal längere Zeit unter anderen Bedingungen zusammen gewesen, eben weil sie das Abenteuer geliebt hat. Da hätte ich wahrscheinlich auch erkannt wie gravierend die Medikamentenabhängigkeit war, die durch eine medizinische Behandlung verursacht wurde.

Das war mir nicht bewusst, obwohl ich einmal ein Medikament für sie in Rom gekauft habe. Wenn sie uns in Westafrika besucht hätte, wäre das wahrscheinlich offensichtlich geworden. Wenn man zwei, drei Wochen zusammen ist, merkt man viel besser, dass da etwas nicht stimmen konnte.

Mein Eindruck ist, dass etliche Kapitel in dem Buch von einer tiefen Trauer geprägt sind, wenn Sie über den Tod Ihrer Schwester schreiben. Sie schreiben an einer Stelle, sie sei an jedem Tag bei Ihnen. Ist auch die Trauer jeden Tag noch bei Ihnen?

Natürlich hört diese Trauer nie ganz auf. Aber es ist auch etwas Positives. Das Werk ist immer da. Die jüngere der beiden Schwestern Isolde und ich, wir haben uns jetzt über Jahrzehnte mit dem Werk und dem Nachlass beschäftigt. Das ist auch etwas sehr Schönes und eine wunderbare Erinnerung, die Menschen sonst nicht haben.

Herr Bachmann, was würde Ihre Schwester heute zu uns sagen, zu unserer Zeit, wie wir leben? Ob sie uns vielleicht in irgendeiner Weise bei unserem Verstehen unserer Gegenwart helfen könnte?

Da greife ich immer gerne auf Zitate zurück. „Keine neue Welt ohne neue Sprache.“ Ich frage mich, ob sie das wohl einerseits positiv sehen würde. Es sind viele Veränderungen in der Gesellschaft eingetreten. Anderseits hat die Menschheit doch nichts dazugelernt. Die Konflikte, Kriege hören nicht auf. Sie werden fortgesetzt. Ich glaube das wäre für sie sehr gravierend. Sie würde es als tragisch empfinden, dass man in der Hinsicht nichts gelernt hat, wenn auch sonst viele Beziehungen in der Gesellschaft besser geworden sind.