Ukraine-Demo in Berlin – eine Frau hält ein Scholz kritisches Schild hoch © picture alliance/ ZUMA Press Wire/ Dominic Gwinn
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Die Debatte mit Natascha Freundel, Kateryna Mishchenko und Erich Vad - Die Ukraine kämpft für Europa – Deutschland schaut zu?

"Warum denken Sie nicht, dass Russland als nächstes Deutschland angreift?" Kateryna Mishchenko

"Ich möchte kein Gespenst sein, das erzählt, wie das Jenseits aussieht. Und auch keine Muse, die demokratische Länder inspiriert. Es gibt ja die Chance, dass wir leben und die Ukraine auf europäischer Seite weiterexistiert. Diese Chance darf man nicht verraten, und das große Verbrechen soll gestoppt werden." Das schrieb die ukrainische Autorin und Verlegerin Kateryna Mishchenko in der NZZ wenige Wochen nach Russlands Überfall auf die Ukraine. Doch wie kann der Krieg gegen die Ukraine gestoppt werden? Ein militärischer Sieg der Ukraine sei ausgeschlossen, meint der deutsche Sicherheitsexperte und Brigadegeneral a.D. Erich Vad, der die Politik von Bundeskanzler Scholz befürwortet: "Wir machen alles, damit die Ukraine nicht verliert." Warum tut Deutschland nicht alles, damit die Ukraine gewinnt?

Ich bin Anhänger einer realistischen Schule. Nicht so krass wie Henry Kissinger, der sagt: gebt den Russen die Gebiete zurück, dann haben wir Frieden. Aber wir müssen rauskommen aus dieser Militäreskalation. Mich verwundert es als Militär, als Fachmann. Ich habe als 15-Jähriger dieses Buch von Jehuda Wallach gelesen: "Dogma der Vernichtungsschlacht", über dieses verfehlte deutsche militärische Denken nach Clausewitz im 19. Jahrhundert, was in die Eskalation zweier Weltkriege führte. Wo man geglaubt hat, 1914, es gibt nur militärische Lösungen für politische Probleme, und das ist für mich echt ein rotes Tuch geworden. Ich sehe das jetzt ganz dramatisch am Beispiel des russisch-ukrainischen Krieges. Diese Logik, vertreten von Leuten, die aus dem Pazifismus kommen, die einen totalen Schwenk gemacht haben. Die sind klassische Bellizisten geworden.

Erich Vad

Ich komme aus der Ukraine, und ich weiß sehr gut, was es heißt, nicht privilegiert zu sein, in einem armen Land zu leben und weniger Rechte zu haben im Alltag als zum Beispiel in Ländern der sogenannten ersten Welt. Deshalb kann ich mir sehr gut vorstellen, dass die Ukraine einfach geopfert wird, im Namen einer sicheren Ordnung in Europa. Ich kann sogar verstehen, warum man so denkt. Aber ich bin auch Verlegerin von historischen Büchern, habe mich viel mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges beschäftigt. Dieser Krieg kann der Anfang einer großen Katastrophe sein. Dann wird in den Geschichtsbüchern stehen, dass es ein Fehler war, dass dieser Konflikt damals nicht gestoppt und die nächste Eskalation zugelassen wurde, durch diese Befriedung und durch diese Versuche, den Konflikt zu verdrängen und sich vorzumachen, dass er uns nicht hundert Prozent betrifft.

Kateryna Mishchenko

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Kateryna Mishchenko (© privat) und Dr. Erich Vad (© privat)
Bild: privat

Kateryna Mishchenko, geboren 1984 in Poltawa, ist Autorin, Kuratorin und Mitbegründerin des ukrainischen unabhängigen Verlags "Medusa". Sie studierte Germanistik in Kyjiw und Hamburg und war Mitherausgeberin des ukrainischen Kulturmagazins "Prostory". Sie lehrte Literatur an der Nationalen Linguistischen Universität Kyjiw, hat u.a. Adorno und Benjamin übersetzt und arbeitete als Dolmetscherin im Bereich Menschenrechte und Soziales. Ihre Essays wurden in ukrainischen und internationalen Anthologien und Zeitschriften sowie im Fototextbuch "Ukrainische Nacht" (Leipzig 2015) veröffentlicht. Bis zu Russlands Überfall auf die Ukraine im Februar 2024 lebte Kateryna Mishchenko in Kyjiw. Derzeit ist sie Stipendiatin am Wissenschaftskolleg Berlin.

Dr. Erich Vad, geboren 1957 in Arnsberg, ist Brigadegeneral a.D.. Von 2000 bis 2006 war er Berater für Sicherheits- und Verteidigungs politik im Deutschen Bundestag sowie 2006 bis 2013 Gruppen leiter im Bundeskanzleramt, Sekretär des Bundes sicherheits rates und Militärischer Berater der Bundes kanzlerin in Berlin. Sein Beruf führte ihn darüber hinaus in die USA, zur NATO und EU nach Brüssel sowie in das deutsche Verteidigungs ministerium und das Auswärtige Amt. Erich Vad promovierte als junger Offizier bei dem israelischen Militärhistoriker Jehuda L. Wallach über die Aktualität der Militärtheorie von Clausewitz. 1984 erschien von ihm: „Carl von Clausewitz. Seine Bedeutung heute“ (Mittler und Sohn) 1984 und 1996 „Strategie und Sicherheitspolitik. Perspektiven im Werk von Carl Schmitt“ (Westdeutscher Verlag). Erich Vad lebt heute mit seiner Familie in Grünwald bei München. Er ist Unternehmensberater und Dozent an Universitäten im In- und Ausland.

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Debatte mit Natascha Freundel & Gästen - Der Zweite Gedanke

Hier geht es um alles, was unser Miteinander betrifft: Bildung, Demokratie, Freiheit, Klima, Städtebau - Themen und Fragen unserer Zeit. rbbKultur-Redakteurin Natascha Freundel spricht mit zwei Gästen, die wissen, wovon sie reden. Philosophisch und persönlich. Kritisch und konstruktiv. Immer auf der Suche nach dem zweiten, neuen Gedanken.

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