Die Debatte mit Natascha Freundel, Ronen Steinke und Thomas Walther -
"Nur in der juristischen Form werden diese Dinge als Verbrechen bezeichnet." Ronen Steinke
In diesem Jahr fanden die wohl letzten Prozesse zu NS-Verbrechen statt. Hochbetagt standen Irmgard F. und Josef S. vor Gericht, und viele fragten sich: müssen sich diese rund Hundertjährigen heute noch für ihre Tätigkeit in Konzentrationslagern in ihrer Jugend verantworten? Wie gerecht sind die letzten NS-Prozesse? Wiederholung des Gesprächs vom Januar 2022 mit Rechtsanwalt Thomas Walter und Ronen Steinke, Jurist und Journalist des Jahrees 2022.
Irmgard F., eine frühere Sekretärin des KZ Stutthoff bei Danzig, stand wegen Beihilfe zum Mord in über 10.000 Fällen vor Gericht – inzwischen wurde sie, mit 97 Jahren, zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Josef S., ein ehemaliger Wachmann im KZ Sachsenhausen, ist heute 102 Jahre alt und hat Revision eingelegt gegen das Urteil: fünf Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 3.500 Lagerhäftlingen. Anwalt Thomas Walter hat in beiden Verfahren die Nebenkläger vertreten.

Ronen Steinke, 1983 in Bayern geboren, ist promovierter Jurist, Autor und Redakteur bei der "Süddeutschen Zeitung". Von ihm stammt die Biografie "Fritz Bauer, oder: Auschwitz vor Gericht" (Piper, 2013), die erfolgreich verfilmt wurde und einem größeren Publikum die Geschichte des jüdischen Generalstaatsanwalts näherbrachte, der in den 1960er-Jahren den großen Frankfurter Auschwitz-Prozess initiierte. 2020 erschien seine Streitschrift "Terror gegen Juden: Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt", in der Ronen Steinke auch sein eigenes Aufwachsen in der jüdischen Gemeinde hinter Zäunen und Wachleuten thematisiert. Steinke hat auch über den „Antisemitismus in der Sprache“ (Duden, 2020) geschrieben. 2022 erschien sein Buch "Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich: Die neue Klassenjustiz" (Berlin Verlag), für das er mit dem Otto-Brenner-Preis ausgezeichnet wurde. Vom Medium Magazin wurde er unter die Journalistinnen und Journalisten des Jahres 2022 gewählt.
Thomas Walther, geboren 1943 in Erfurt und aufgewachsen in Uelzen, ist Rechtsanwalt. Er war seit 1975 Richter und Staatsanwalt in Bayern. 2006 wechselte er zur Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, wo er maßgeblich am Erfolg des Strafverfahrens gegen John Demjanjuk von 2009 bis 2011 in München beigetragen hat. In den Prozessen gegen die früheren SS-Männer Oskar Gröning am Landgericht Lüneburg 2015 und Reinhold Hanning 2016 in Detmold vertrat er jeweils mehr als 30 Nebenkläger aus USA, Canada, Israel, Ungarn, England, Frankreich und Deutschland. 2022 vertrat er zahlreiche Nebenkläger im Verfahren gegen Imgard F., die Chefsekretärin des Lagerkommandanten des KZ Stutthof, und im Prozess gegen Josef S., einem Wachmann der SS im KZ Sachsenhausen bei Berlin. Thomas Walther wurde 2019 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Kommentar
Bitte füllen Sie die Felder aus, um einen Kommentar zu verfassen.