Die Debatte mit Natascha Freundel, Omri Boehm und Navid Kermani -
"Das Wir ist sehr wichtig. Aber nicht als Grundlage unserer Normen." (Omri Boehm)
"Für wahre Universalisten sollte das "Wir" nie der Beginn von Politik sein; es kann lediglich ihr niemals endgültiges Resultat sein", so schreibt der Philosoph Omri Boehm in seinem Buch "Radikaler Universalismus", das jede Identitätspolitik und jede interessengeleitete Realitätspolitik herausfordert.
Wer nach dem "Wir" sucht, macht es sich womöglich zu leicht, indem er oder sie sich in einer Konsens-Gemeinschaft einrichtet und aus dem Blick verliert, wer nicht zu diesem "Wir" gehört – die "Anderen", mit deren Ausschluss oder gar auf deren Kosten "Wir" leben.
Auch der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani plädiert für einen kosmopolitischen Humanismus. Für eine Besinnung auf den metaphysischen Begriff der Menschenwürde. "Absolute Liebe zur Menschheit", wenn diese Menschheit ihre Lebensgrundlagen zerstört? Unbedingt, sagt Boehm, denn Dehumanisierung führe zum Tod der Natur.
Ein Gespräch über das Paradox im Grundgesetz, über die Vorstellungskraft von Kindern und über "Hoffnung bis zum letzten Atemzug" (Kermani).
Wiederholung vom 10.11.2022.

Navid Kermani, geboren 1967 in Siegen, ist habilitierter Orientalist und lebt als freier Schriftsteller in Köln. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, 2015 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels. "Wer ist Wir" fragt Kermani schon in seinem Buch über "Deutschland und seine Muslime" (200). Bei C.H.Beck erschienen darüber hinaus u.a. "Einbruch der Wirklichkeit. Auf dem Flüchtlingstreck durch Europa" (2016), "Entlang den Gräben. Eine Reise durch das östliche Europa bis nach Isfahan" (2018) und "Morgen ist da. Reden" (2019) sowie "Was jetzt möglich ist. 33 politische Situationen" (2022). Bei Hanser erscheint sein literarisches Werk, darunter in diesem Jahr sein Jugendbuch: "Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen. Fragen nach Gott".
Omri Boehm, geb. 1979 in Haifa (Israel), ist Associate Professor für Philosophie und Chair of the Philosophy Department an der New School for Social Research in New York. Er studierte in Tel Aviv und promovierte in Yale über Kants Kritik an Spinoza. Er ist israelischer und deutscher Staatsbürger, hat u.a. in München und Berlin geforscht und schreibt über israelische Politik und die Antisemitismus-Debatten in Haaretz, Die Zeit und The New York Times. 2020 erschien sein viel diskutiertes Buch "Israel – eine Utopie", 2022 sein Buch "Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität" (beide Propyläen).
1 Kommentar
Wunderbare Sendung, danke. Ich habe meine Arbeit pausiert, musste gespannt dem Gespräch zuhören. Beide, Herr Kermani und Herr Boehm, sind aussergewöhnliche Menschen, wir brauchen mehr von diese Art, um unsere Welt zu retten. Chapeau an die Moderatorin, sie hatte sehr gute, feinfühlige Fragen. Danke!