
Neuverfilmung als Serie - "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"
In den 1970er und 1980er Jahren war der Bahnhof Zoo ein berüchtigter Treffpunkt der Westberliner Drogenszene. Unter dem Titel "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" erschien 1978 ein von zwei Reportern des Magazins Der Stern verfasstes Buch. Es gewährte intime Einblicke in den Alltag von fünf minderjährigen drogensüchtigen Prostituierten, aus der Perspektive der damals 16-jährigen Christiane Felscherow, genannt Christiane F. 1981 hat Uli Edel das Buch verfilmt, mit weltweitem Erfolg.
Jetzt gibt es unter der Regie von Philipp Kadelbach (u.a. Serie "Parfum") eine neue Verfilmung des Stoffes. Die achtteilige Serie ist ab Freitag auf Amazon Prime Video verfügbar.
Sechs Freunde am Abgrund
Buch und Film machten Christiane F. zur bekanntesten Drogensüchtigen der Achtzigerjahre. Auch die Drehbuchautorin Annette Hess, die etwas jünger ist als Christiane F., las damals das Buch, reiste mit einer Freundin aus ihrer niedersächsischen Heimat nach Berlin, um sich selber ein Bild zu machen.
Die Szene um den Bahnhof Zoo fand sie zugleich faszinierend und abstoßend, doch von Uli Edels Verfilmung war sie enttäuscht: "Diese Empörung, dass da gar nicht alles erzählt wurde, was mir damals wichtig war beim Lesen, das ist im Grunde auch ein Motor, jetzt zu sagen, so, jetzt aber die ganze Geschichte und vielleicht noch mehr erzählen für die Serie."
Annette Hess war schon bei anderen interessanten deutschen Serien wie "Weissensee" und "Kudamm 54" beteiligt. In ihrer Adaption des berühmten Buches weitet sie den Blick. Man erfährt mehr über Christianes familiäre Lebenssituation mit einem unzuverlässigen Vater, der zu Gewaltausbrüchen neigt. In der Schule fallen den Lehrern Veränderungen an der einst so aufmerksamen Schülerin auf. In der Serie ist Christianes Schicksal in ein Netz aus Beziehungen zu ihren fünf engsten Freunden einbettet, deren Geschichten gleichberechtigt erzählt werden. Die Jugendlichen unterstützen sich gegenseitig, ziehen sich aber auch immer wieder aufs Neue in den Kreislauf von Sucht und Beschaffungskriminalität.

Schillernde Besetzung und starke Bilder
Der ewige Kreislauf von Sucht und Entzug, von guten Vorsätzen und schlechten Gewohnheiten, führt zu gelegentlichen Längen. Glänzen kann die Serie aber mit der Besetzung, die Jugendlichen werden von durchwegs interessanten Newcomern gespielt, allen voran die Österreicherin Jana McKinnon, die der echten Christiane äußerlich verblüffend ähnelt. Schon etwas bekannter ist nur Lena Urzendowsky (Kokon) als ihre beste Freundin.
Während Uli Edel den Stoff Anfang der Achtzigerjahre in fast dokumentarischem Stil umsetzte, arbeitet Philipp Kadelbach mit ausgeprägtem Stilbewusstsein. Immer wieder findet er orginelle und starke Bilder für das Abrutschen in den Heroin-Trip: Mal versinkt ein Jugendlicher mit dem Laken in der Tiefe eines Bettes, um dann schwerelos in einen riesigen Wassertank zu gleiten. Mal führt eine Regalwand in einen endlos tiefen Tunnel, der in der wabernden Menschenmenge auf der Disco-Tanzfläche mündet.
Musikalischer Brückenschlag zur Gegenwart
In der Serie sind viele bekannte Songs aus den Siebziger Jahren zu hören, vor allem immer wieder von David Bowie, der damals in Berlin lebte und an der ersten Verfilmung auch beteiligt war. Aber es erklingen auch viele Songs aus dem 21. Jahrhundert - etwa von Florence + the Machine oder Cigarettes After Sex.
Mit großer Lust und viel Liebe zu Musik und Mode rekonstruiert die Serie die Siebziger Jahre. Gleichzeitig sucht sie aber auch immer wieder den Brückenschlag zum Hier und Heute, denn natürlich ist Drogensucht ein immer noch aktuelles Thema unter Jugendlichen. Das heißt dann auch, dass die Siebziger-Disco in der Serie zum Techno-Club mutiert.
So ähnlich wie das schon der britische Regisseur Danny Boyle in "Trainspotting" tat, zeigt auch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" nicht nur die erschütternde und lähmende Seite der Drogensucht, sondern auch ihre verführerische. Mit ihrem elektrisierenden Drang zu Freiheit und Rebellion erleben die Kids ein Coming of Age auf dem Drahtseil: Die Gefahr des Absturzes ist allgegenwärtig.
Anke Sterneborg, rbbKultur