Dokumentation - "The Other Side of the River"
Im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat stand die Region Rojava im Norden Syriens lange Zeit im Zentrum der Aufmerksamkeit. Denn es waren kurdische Kämpferinnen und Kämpfer aus dem faktisch autonomen Gebiet, die sich den Terrortruppen entgegenstellten und 2016 auch die Stadt Minbij am anderen Ufer des Euphrat befreiten. Die deutsche Filmemacherin Antonia Kilian besuchte kurz danach die Region und drehte einen Dokumentarfilm über eine junge Kurdin aus Minbij, die sich einer feministischen Polizeieinheit anschließt.
Es ist eigentlich die Geschichte von zwei Frauen, die "The other Side of the River" erzählt. Nämlich die Geschichte der Filmemacherin Antonia Kilian, die so beeindruckt ist von der feministischen kurdischen Revolution in Rojava, dass sie 2016, nach der Befreiung von Minbij, für ein Jahr in die Region reist und zwei Jahre später noch einmal.

Die Filmemacherin lebte ein Jahr im Norden Syriens
Sie lernt dort ihre Protagonistin kennen. Hala, eine junge Frau aus Minbij ist von zu Hause weggelaufen, weil ihr Vater sie verheiraten wollte. Jetzt macht sie an der Militärakademie auf der anderen Seite des Flusses eine Ausbildung zur Polizistin. Danach will sie zurück nach Minbij, um ihre Schwestern zu befreien.
Antonia Kilian folgt Hala, wie sie als Polizistin an Autorität gewinnt, wie sie eine Art Vorbild für andere Frauen ist, aber von ihrer Familie gedrängt wird, den Polizeidienst zu verlassen.
Man sieht, wie sich Hala verändert. Wie das witzige, energiegeladenen Mädchen immer angestrengter und erschöpfter aussieht und immer mehr unter Druck gerät.

Bilder von der Schönheit der Landschaft
Antonie Kilian arbeitet als Regisseurin und als Kamerafrau. Sie hat visuelle Kommunikation an der Berliner UdK studiert und Film in Potsdam Babelsberg. Sie setzt in ihren Bildern dem gewalttätigen politischen Geschehen die sanfte Schönheit der Landschaft entgegen. Die fruchtbare Ebene am Euphrat, den breiten trägen Fluss, die Lehmhäuser und weichen Hügelketten. Dazwischen wie ein Schock die leeren Fensterhöhlen der verlassenen Gebäude und die vom IS schwarz gestrichenen Fassaden. Die militärischen Strukturen, in denen Hala ausgebildet wird, wirken als starker Kontrast zu dieser Landschaft. Selbst die feministischen Vorträge gleichen autoritärer Indoktrination.
Die Regisseurin wollte diese Widersprüche stehen lassen, aber beim Zuschauen verwirrt, wie die jungen Frauen der Unterdrückung entfliehen wollen, indem sie sich rigidem Drill unterwerfen.

Begeisterung für den Aufbruch der Frauen
Antonia Kilian hat die kurdische Frauenbewegung schon in Deutschland kennengelernt. Ihre Mutter organisierte in Kassel am 8. März den Frauentag in einem interkulturellen Frauenzentrum. Als sie von der Befreiung von Minbij erfuhr, als sie die Bilder sah von den Frauen, die ihre schwarzen Gewänder ablegten und wieder in farbigen Kleidern durch die Straßen liefen, wollte sie unbedingt dorthin fahren.
"Ich hatte keine Ahnung", sagt sie in dem Film aus dem Off. Vor Ort ist die Freiheit fragil.
Wechselnde Fronten
Die Verunsicherung einer von Gewalt erodierten Gesellschaft kann man nur ahnen. 65 Männer aus Halas Verwandtschaft haben sich dem IS angeschlossen, 40 sind gestorben. Beim zweiten Aufenthalt der Regisseurin 2018 haben sich die Fronten und Allianzen verschoben. Nach der türkischen Militäroffensive riefen die kurdischen Kämpfer die syrische Armee um Hilfe.
Niemand traut niemandem in dieser Situation. Ob ihr Vater ein Spion für das türkische Militär sei, fragt die Vorgesetzte Hala. Die antwortet: eher ein Spion für den IS.
Als Zuschauerin, die mit den Verhältnissen im Norden Syriens nicht vertraut ist, wünscht man sich da immer mal wieder die Perspektive der Regisseurin zur Orientierung. Denn natürlich ist "The other Side of the River" auch die Geschichte von Antonia Kilian. Der Film ist ihrer Kamera-Assistentin und Freundin Sarah Handelmann gewidmet, die sich der PKK anschloss und von einer türkischen Drohne getötet wurde.
Simone Reber, rbbKultur