Drama | Berlinale Wettbewerb - "Alcarràs"
"Alcarràs" erzählt die Geschichte einer Familie im ländlichen Katalonien, die ihre Lebensgrundlage verliert, weil ihre Plantage einer Solaranlage weichen muss. Dabei zeigt die spanische Regisseurin Carla Simón ein gutes Gespür für die Menschen und die Stimmung in ihrer Heimat.
Seit Generationen haben die Solés mit einer Pfirsich-Plantage ihren Lebensunterhalt verdient. Sie lieben das Land, sie kennen seine Eigenheiten und sind in der Region fest verwurzelt. Und doch könnte die nächste Ernte ihre letzte sein. Denn Opa Roger (Albert Bosch) hat das Land von Großgrundbesitzer Pinyol nur geliehen, als Gegenleistung dafür, dass er dessen Familie einst im Bürgerkrieg versteckt hat. Für Pinyols Sohn aber gelten die alten Gefälligkeiten nichts mehr. Er möchte sein Land zurück, um darauf eine Solaranlage zu errichten.
Die Zwangsräumung droht
Obwohl den Solés nun die Zwangsräumung droht, machen sie erstmal weiter, als sei nichts gewesen. Vater Quimet (Jordi Pujol Dolcet) organisiert die Ernte, die Kinder spielen vergnügt zwischen den Pfirsichbäumen und Mutter Dolors (Anna Otin) kümmert sich als guter Geist um den Haushalt. Am Wochenende, nach getaner Arbeit, wird gegrillt, gebechert, und wem es zu heiß wird, der springt einfach in den Swimming Pool.
Und doch: Je näher der Tag des Abschieds von der Plantage rückt, desto mehr nehmen die Spannungen in der Familie zu ...
Gute Kenntnis der Region
Die spanische Regisseurin Carla Simòn war bereits 2017 mit ihrem Debutfilm "Fridas Sommer" zu Gast bei der Berlinale, damals noch in der Sektion "Generation". Nun tritt sie im Wettbewerb an - mit einem Film, der sich erneut mit dem Landleben in ihrer Heimat Katalonien beschäftigt.
Dabei profitiert sie von ihrer guten Kenntnis der Region und ihrer Menschen: Die Familie Solé steht stellvertretend für viele Bauern in Spanien, die sich aufgrund sinkender Agrarpreise von ihrer Arbeit nicht mehr ernähren können.
Mittendrin im prallen Leben
Mit starken, eindrucksvollen Farben zeigt Carla Simón das Leben der Solés: Das helle Braun der Erde, das satte Grün der Bäume, das zarte Gelbrot der Pfirsiche - und mittendrin das pralle Leben! Simóns Kamerafrau Daniela Cajías schafft es, das Geschehen so authentisch einzufangen, als sei man als Zuschauer:in Teil der Familie. Egal ob die Kleinsten einen Bagger kapern, ob Tochter Mariona (Xènia Roset) mit ihren Freundinnen die neuesten TikTok- Moves einstudiert oder der halbwüchsige Sohn Rogelio (Josep Abad) im Maisfeld eine private Marihuana-Plantage anlegt: Diese Menschen muss man einfach mögen. Und weil man sie mag, nimmt man umso mehr Anteil an ihrem Schicksal.
Keine Zukunft auf dem Land
Eine intakte bäuerliche Großfamilie wie die Solés wird es wohl bald nicht mehr geben, das macht "Alcarràs" auf schmerzliche Weise klar. Als die Solés am Ende des Sommers die letzten saftigen Pfirsiche in Sirup einkochen, rücken auf der anderen Seite ihres Hauses bereits die Bagger an. Die Familienbande haben zwar gehalten, doch die Zukunft ist ungewisser denn je.
Meisterin des sozialrealistischen Erzählens
"Alcarràs" ist eine Familiengeschichte, die zu Herzen geht: Die spanische Regisseurin Carla Simón zeigt sich auch in ihrem zweiten Film als Meisterin des sozialrealistischen Erzählens und wird in dieser Form bestimmt nicht das letzte Mal im Wettbewerb eines A-Festivals zu Gast gewesen sein.
Carsten Beyer, rbbKultur