Drama | Berlinale Wettbewerb - "Call Jane"
Filme über Abtreibung sind in den USA derzeit hochaktuell: Und doch ist Phyllis Nagys Filmdrama "Call Jane" eher nette Anekdote als packendes Politdrama. Die Geschichte einer gutbürgerlichen Anwaltsgattin, die durch die Zeitläufte zur klandestinen Aktivistin mutiert, wirkt merkwürdig aus der Zeit gefallen.
Chicago, 1968: Joy, Anwalts-Gattin, Hausfrau und Mutter, freut sich gemeinsam mit Ehemann Will (Chris Messina) auf ihr zweites Kind. Doch nachdem ihr immer wieder schwindlig wird, warnt sie ihr Arzt, dass die späte Schwangerschaft eine ernsthafte Gefahr für ihr eigenes Leben darstellt. Ihr droht eine akute Herzinsuffizienz. Nun steht Joy vor einem ernsthaften Dilemma: Denn Schwangerschaftsabbrüche sind zu diesem Zeitpunkt in den USA gesetzlich verboten und der durchweg männliche besetzte Vorstand ihrer Klinik will bei Joy keine Ausnahme zulassen – schließlich habe sie ja eine immerhin fünfzigprozentige Überlebenschance.

Von der Anwaltsgattin zur Frauenrechts-Aktivistin
Diese demütigende Erfahrung ist nur der Beginn einer Odyssee, die Joy schließlich zu den "Janes" führt, einer illegalen Gruppe, die dafür kämpft, Frauen wie Joy eine Wahl zu ermöglichen. Sie vermitteln nicht nur Ärzte, die den illegalen Eingriff vornehmen, sie geben den Frauen auch die moralische Unterstützung, die oft nach einer Abtreibung von Nöten ist.
Jane ist fasziniert. Vor allem Virginia (Sigourney Weaver), die charismatische Gründerin der "Janes" hat es ihr angetan. Und so wird aus der unpolitischen Anwaltsgattin selbst eine "Jane".
Velvet Underground beim Plätzchenbacken
Über Phillys Nagys Film liegt der Geist der Sechziger Jahre. Gleich in der ersten Szene gerät Joy in eine Yippie-Demonstration, bei der unzufriedene Jugendliche gegen die US-Regierung auf die Straße gehen. An den Wänden hängen Plakate von Jimi Hendrix, durch die Luft wabert die Musik von "Hair" und ihre Zimtplätzchen backt Joy zu den Klängen von Velvet Underground. Keine Frage, dass sie bald schon den ersten Joint ihres Lebens rauchen wird und ihr steifer Gatte sich noch auf so manche Überraschung einstellen muss.

Die Handlung verliert sich im Anekdotischen
Doch weder der Charme der Hauptdarstellerin noch diverse nette Ausstattungsdetails (Die Kleider! Die Frisuren! Der Soundtrack!) können verhindern, dass die Geschichte nach einer Weile nur noch vor sich hinplätschert: Joys Mann und ihre Tochter dürfen nichts von den heimlichen Aktivitäten der Mama wissen und werden deshalb mit der Geschichte von einem angeblichen Malkurs an der Volkshochschule abgespeist? Okay…. Virginia will die Preise für die Abtreibungen drücken und spielt deshalb mit dem skrupellosen Arzt Dean (Cory Michael Smith) Strip-Poker? Aha …
Von der großen Politik verliert sich die Handlung immer mehr ins Anekdotische. Erst als sich Joy entscheidet, die Abtreibungen in Zukunft selbst vorzunehmen, nimmt der Film doch noch einmal Fahrt auf.
Premiere beim Sundance Festival
Beim Sundance Film Festival in Salt Lake City, wo "Call Jane" kürzlich seine US-Premiere feierte, wurde der Film viel diskutiert. Kein Wunder, schließlich ist das Thema Abtreibung dort ein garantierter Aufreger. Einige besonders konservative Bundesstaaten haben sie in den letzten Jaren bei sich quasi abgeschafft, sind also wieder beim Status Quo der 50er Jahre angekommen, in anderen wird ein solcher Schritt zumindest überlegt.
Eine vertane Chance
Doch gerade weil "Call Jane" diese Aktualität völlig ausblendet und sich nur auf die historische Geschichte konzentriert, wirkt er auf mich wie ein laues Lüftchen, wo doch eigentlich ein Sturm blasen müsste. Eine vertane Chance.
Carsten Beyer, rbbKultur