Drama | Berlinale Wettbewerb - "Drii Winter" ("A Piece of Sky")
Ein Liebesdrama mitten in der grandiosen Kulisse der Schweizer Welt, das klingt nach großen Gefühlen und großem Pathos. Und doch sind es eher die kleinen Beobachtungen am Rande, die Michael Kochs Film sehenswert machen.

Ein mächtiger Nacken und sonnengebräunte Arme – das ist das erste, was man von Marco (Simon Wisler) zu sehen bekommt. Der Mittdreißiger ist zwar ein "Flachländer", durch seine zupackende Art aber hat er sich trotzdem den Respekt der Dorfgemeinschaft im kleinen Bergdorf Isenthal am Urner See erworben. Er kann gut mit Tieren umgehen und geht keiner Arbeit aus dem Weg. Da kann man auch mal drüber hinwegsehen, dass Marco nicht in die Kirche geht und am Stammtisch in der Dorfkneipe nur Eistee trinkt.

Der Flachländer und das Bergmädchen
Nach Isenthal ist Marco gekommen, um Anna (Michèle Brand) zu heiraten, die Tochter der Kneipenwirtin. Anna ist Postbotin, Kellnerin und Mädchen für alles in Isenthal. Aus einer gescheiterten Beziehung hat sie bereits eine kleine Tochter, was bei den Männern am Stammtisch eifrig diskutiert wird. Diesmal aber, mit Marco, soll nichts schiefgehen!
Elegische Bilder
Mit langsamen, fast schon elegischen Bildern, die mitunter an die Ästheik der "Berliner Schule" erinnern, erzählt Michael Koch die Geschichte einer großen Liebe. Viele Worte machen Marco und Anna nicht, aber in ihren Blicken liegt unendlich viel Zärtlichkeit und die Verwunderung, dass das große Glück ausgerechnet sie getroffen hat.
"Manchmal denke ich, dass ich das alles hier nur träume", sagt Anna zu Marco bei einer gemeinsamen Bergtour auf dem Motorrad. Und als der große Tag der Hochzeit kommt, scheint einer leuchtenden Zukunft nichts mehr im Weg zu stehen.
Das Schicksal schlägt zu
Doch das Schicksal schlägt zu in Form eines Gehirntumors: 6 x 3 Zentimeter groß ist der, sitzt mitten in Marcos Kopf und bedrängt den rechten Frontal-Lappen seines Gehirns, zuständig für die Impulskontrolle.
Marco macht auf einmal komische Dinge. Der große Mann mit den starken Armen wirkt antriebslos, vergisst die Kühe auf der Weide und wird anderen gegenüber ausfällig. Dem Tierarzt bricht er gar den Arm, als dieser seine liebste Kuh schlachten will. Als Annas beste Freundin Marco eines Tages dabei beobachtet, wie er sich in Gegenwart von Annas kleiner Tochter vor dem Fernseher selbst befriedigt, wird die Situation untragbar. In dem kleinen Bergdorf kann er nicht mehr bleiben. Oder doch?

Überzeugende Hauptdarsteller
"Drii Winter", Michael Kochs zweiter Spielfilm nach "Marija" (Locarno 2016) ist großes Drama mit bescheidenen Mitteln, gedreht mit Laien-Darsteller:innen an Originalschauplätzen in der spektakulären Bergwelt rund um den Urner See. Dabei überzeugen vor allem die beiden Hauptdarsteller:innen, denen die ganze Aufmerksamkeit des Films gilt. Wenn ihre Liebe nicht nur ein Traum gewesen sein soll, erkennt Anna, dann muss sie auch im Unglück Bestand haben. Egal ob die Leute im Dorf das nun verstehen oder nicht.
"Mama, was kann man in den Himmel mitnehmen?" wird sie von ihrer Tochter in einer der schönsten Szenen des Films gefragt. "Nichts. Nur das, was wir im Herzen tragen" lautet die kurze, aber überzeugende Antwort.
Carsten Beyer, rbbKultur