Berlinale Dokumente - "Myanmar Diaries"
Alle Filmemachenden sind stolz, ihre Namen bei der Berlinale zu lesen. Es gibt wohl kaum Größeres. Die Regisseure der Dokumentation "Myanmar Diaries" haben bewusst darauf verzichtet.
Ein Film ohne Credits. Die Macher und Macherinnen der Dokumentation "Myanmar Diaries" bleiben namenlos. Müssen namenlos bleiben. Andernfalls drohen Repressalien. Gefängnis.

Der Alltag in Myanmar ist gefährlich - für Künstler:innen noch einmal mehr
Der Alltag in ihrer Heimat Myanmar ist gefährlich. Ohnehin. Für Künstler und Künstlerinnen noch einmal mehr. Die Hälfte aller Filmemacher:innen sitze im Gefängnis, erzählt mir M.N. Wofür diese Initialen stehen, verrät er mir nicht. Wie ich bitte überhaupt nichts Konkretes zu seiner Identität oder auch der des Autorenkollektivs von "Myanmar Diaries" fragen soll.
M.N.: "Unser Autorenkollektiv ist zu allererst eine Gruppe von zehn Menschen, die ähnlich denken. Manche von uns sind befreundet, andere haben sich hier kennengelernt. Ganz unterschiedlich. Wir sind Filmemacher, Journalisten. Vor allem aber sind wir Gleichgesinnte!"
Ein Langfilm mit ganz unterschiedlichen Geschichten
Gleichgesinnte, die von ihrem Land erzählen wollen. Erzählen müssen. Von dem Wahnsinn, den sie tagtäglich erleben und beobachten. So entstand die Idee, dass jeder eine kurze Geschichte erzählt. Herausgekommen ist ein Langfilm mit ganz unterschiedlichen Geschichten - mal komisch, mal tragisch, autobiografisch, dokumentarisch, mal nüchtern, dann wieder ganz verspielt.
Da ist die Tänzerin, die unbeirrt ihre Tanzschritte vollführt, während im Hintergrund Panzer stehen, immer mehr Militär aufgefahren wird.
Da ist der Blick aus dem Fenster auf die Straße, junge Leute zu Fuß unterwegs. Es fallen Schüsse. Alltag in Myanmar. Jeden kann es treffen.
"Immer mehr Künstler und auch Schauspieler werden gefangen genommen und ins Gefängnis gesteckt. Gerade kürzlich wieder. Warum? Weil sie sich politisch äußern. Weil sie gegen das Regime protestieren. Das ist alles. Das Militär nimmt sich jeden vor, gerade auch die Künstler."
Aus der Angst erkannt zu werden, wird ein stilistisches Mittel
Es fallen keine Namen. Es gibt keine Gesichter in diesem Film. Kunstvoll verstehen es die Filmemacher:innen, auch die Protagonist:innen ihrer Geschichten zu schützen. Es sind Freunde, Familie. So sieht man mehr Körper, erahnt vielleicht das Profil, das versteckt ist hinter Haaren. Aus der Angst erkannt zu werden, wird hier ein stilistisches Mittel.
Es wäre ein leichtes gewesen, allen einfach eine Maske aufzuziehen, sagt M.N., "schließlich haben wir ja Covid. Wir haben es als künstlerische Herausforderung gesehen."
So wie er mir jetzt gegenübersitzt, ein freundlicher Mann, vielleicht Anfang 30, wird er sich den Fernsehkameras bei der Berlinale nicht stellen. Dann werde er sein Gesicht verbergen.
"Im Moment müssen wir alle sehr wachsam sein sein. Jeder von uns lebt in der Angst, festgenommen zu werden oder Ärger mit dem Regime zu bekommen. Du musst kein politisches Statement abgeben, du musst nicht auf der Straße protestieren - es reicht, wenn du irgendetwas auf Facebook postest, das dem Militär nicht gefällt."

Ein mutiges Statement
Es ist die Willkür des Militärs, der nicht kalkulierbare Alltag der Menschen, den diese ungewöhnlichen Dokumentation als greifbare Bedrohung spürbar macht. "Myanmar Diaries" klagt nicht an, sondern legt Zeugenschaft ab. Die Filmemacher:innen wissen, dass ihr Land nach dem Militärcoup im Februar 2021 die Weltöffentlichkeit auf seiner Seite hatte, jetzt in der Wahrnehmung aber wieder in den Hintergrund gerückt ist.
"Diese Realität haben wir akzeptiert. Deshalb wollten wir diesen Film machen. Ein Film bleibt den Menschen länger im Gedächtnis und er kann einfach mehr Emotionen transportieren als die journalistische Berichterstattung."
Die Geschichte des jungen Mädchens, das davon träumt, am Fenster sitzt, ein Schmetterling zu sein, mit ihrem Freund im Bett liegt. Zärtliche Momente, die jäh enden. Ja, das vergisst man nicht so schnell. Was all diesen kleinen Geschichten gemeinsam ist, ist die Verwunderung darüber, was Menschen Menschen antun können. So viel Leid. So viel Schmerz.
In Burma selbst wird dieser Film wohl nie im Kino laufen. Die Kinos sind ohnehin seit 2020 geschlossen. War die Pandemie erst Anlass, ist sie jetzt Vorwand, Filmschaffenden ihre Sprache zu nehmen. "Myanmar Diaries" ist da in jeder Hinsicht ein mutiges Statement.
Christine Deggau, rbbKultur