Drama | Berlinale Wettbewerb - "Yin Ru Chen Yan" ("Return to Dust")
Eine zarte Liebesgeschichte zwischen zwei Außenseitern zeigt der chinesische Regisseur Li Ruijun in seinem Wettbewerbs-Beitrag. Dabei überzeugt er mit poetischen Bildern, die von Ausbeutung, Armut und dem harten Landleben in Chinas Provinzen erzählen.
Der Bauer Ma (Wu Renlin) soll die schüchterne Guying (Hai Qing) heiraten. Es ist eine arrangierte Hochzeit: Beide Brautleute sind nicht mehr ganz jung und werden für ihre Familien zur Last. Der friedfertige Ma wir immer nur "Bruder Vier" gerufen und von seinen Geschwistern ausgenutzt. Die schweigsame Guying hat die meiste Zeit ihres Lebens in einem Stall gelebt, ist die ganze Zeit misshandelt worden und deshalb inkontinent.

Ein Bild des Jammers?
Eine Feier gibt es nicht und das gemeinsame Hochzeitsfoto wird zum Bild des Jammers, weil sich die beiden vor lauter Schüchternheit nicht mal in die Augen schauen können. Dann aber passiert etwas Unerwartetes. Aus zwei Außenseitern wird nach und nach ein richtig gutes Team. Aus dem Nichts schaffen sie sich ein Existenz: Sie bestellen ihre Felder - nur mit einem Esel und einem alten Pflug, sie bauen sich ein schönes Haus aus Holz und Lehmziegeln und sie genießen ihre Zweisamkeit fernab der Schikanen, denen sie früher ausgesetzt waren.

Ménage à trois
Li Ruijun nimmt sich viel Zeit, dieses langsame Aufeinanderzugehen zu erzählen. Trotzdem wird es nie langweilig, dafür sorgen schon die warmen Farben seiner Bilder: Der gelbe Sand der nahen Wüste, das strahlende Grün der frischen Maispflanzen und das pulsierende Blau des Himmels. Aus der gemeinsamen harten Arbeit und der Liebe zur Natur wächst eine innige Zweisamkeit. Im Grunde ist diese Liebesgeschichte eigentlich eine Ménage à trois: Ein Mann, eine Frau und die Erde, die die beiden mit allem versorgt, was sie zum Leben brauchen.
Gefahr droht von Außen
Dabei lassen sich die frischgebackenen Eheleute auch von äußeren Einflüssen nicht abhalten: Weder von Mas Geschwistern, die ihrem Bruder sein neues Glück nicht gönnen, noch vom Verwalter, der sie um Teile ihrer Ernte betrügt und auch nicht vom chinesischen Staat, der hohe Abrissprämien für Lehmhäuser zahlt und alle Bauern am Liebsten in neugebauten Hochhäusern ansiedeln würde.
Nicht ein einziger Kuss
Li Ruijun ist ein junger Regisseur, der bislang nur einmal im Panorama der Berlinale zu Gast war, der aber schon jetzt als Wunderkind des chinesischen Kinos gilt. Ihm ist etwas gelungen, was es sonst nur selten im Kino zu sehen gibt: eine Liebesgeschichte ohne jede Erotik. In den gut zwei Stunden, die dieser Film dauert, sieht man nicht einen einzigen Kuss, von irgendwelchen Bettszenen ganz zu schweigen – und doch verbindet die beiden Hauptfiguren eine große Zärtlichkeit.

Der Traum vom besseren Leben bleibt
Ma und Guying stehen stellvertretend für die chinesische Landbevölkerung, die in Ruijuns Filmen immer wieder eine Rolle spielt: Deren Nähe zur Natur, so lautet seine Botschaft, ist etwas Positives, etwas, das man nicht ohne Not zerstören sollte. Dass das junge Glück am Ende keine Chance hat, man ahnt es schon. Und doch: der Traum vom besseren Leben bleibt – und allein der lohnt den Weg ins Kino.
Carsten Beyer, rbbKultur