Drama - "Abteil Nr. 6"
Eine finnische Studentin und ein russischer Minenarbeiter fahren zusammen im Zug und kommen sich dabei näher. In seiner Romanverfilmung "Abteil Nr. 6" macht der finnische Regisseur Juho Kuosmanen aus einer spröden Lovestory eine Allegorie auf das schwierige Verhältnis Russlands zu seinen Nachbarn. Doch die optimistische Botschaft des Films wird durch die brutale Realität des Ukraine-Kriegs ad absurdum geführt.
Eine Zugreise von Moskau nach Murmansk: 2.000 Kilometer durch den russischen Winter. Irgendwie hatte sich Laura (Seidi Haarla) das romantisch vorgestellt. Die Archäologiestudentin aus Finnland wollte gemeinsam mit ihrer russischen Freundin Irina (Dinara Drukarova) in Murmansk die berühmten Kanozero-Petroglyphen anschauen – eine Serie prähistorischer, in den Fels geschabter Wandmalereien mitten in der Arktis.

Ein Mitfahrer aus der Hölle
Doch Irina hat in letzter Minute abgesagt und so muss sich Laura ihr Abteil mit Ljoha (Yuriy Borisov) teilen. Der junge Minenarbeiter, der in einer Erzgrube in Murmansk angeheuert hat, wirkt für Laura zunächst wie ein Albtraum. Noch bevor der Zug überhaupt losgefahren ist, ist er schon betrunken. Er schmeißt seinen Müll durch die Gegend, raucht wie ein Schlot und belästigt die junge Frau mit Anzüglichkeiten und prahlerischem Geschwätz.
Aus Ablehnung wird Anziehung
Während sich der Zug langsam durch die Taiga quält und im Zugrestaurant nach und nach die Vorräte ausgehen, kommen sich die beiden unfreiwilligen Reisegefährten langsam näher. Bedingt durch die Langeweile, bedingt auch durch die Tatsache, dass Laura feststellen muss, dass ihre "Freundin" Irina sie eigentlich nur loswerden wollte, gibt sie ihre Zurückhaltung auf.
Aus Ablehnung wird Gleichgültigkeit, aus Gleichgültigkeit wird Neugier, und aus Neugier ganz allmählich Anziehung. Als Laura und Ljoha am Ziel ankommen, könnte das nicht das Ende, sondern durchaus auch der Anfang der Geschichte sein ...
Ein Film, so spröde wie seine Hauptdarsteller
Der Film geht zurück auf den gleichnamigen Roman von Rosa Liksom. Der finnische Regisseur Juho Kuosmanen ("Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki") hat daraus einen Liebesfilm gemacht, der genauso spröde ist wie seine beiden Hauptdarsteller. Die Bilder sind grobkörnig, die Kamera ruckelt, einzig der Soundtrack mit Elektro-Pop aus den frühen 90ern sorgt für etwas sinnliche Abwechslung.
Kuosmanen hat seinem Film ein Zitat des russischen Schriftstellers Viktor Pelewin vorangestellt: "Um zu entkommen, muss man sich nicht nur ganz sicher sein, wohin man flüchtet, sondern auch, wovor."

Es bleibt ein merkwürdiger Beigeschmack
"Abteil Nr. 6" wurde für den Oscar und den Europäischen Filmpreis nominiert und bekam in Cannes den Großen Preis der Jury. Doch trotz dieser Auszeichnungen bleibt ein merkwürdiger Beigeschmack. Nicht, weil das russische Kulturministerium die Produktion zu einem geringen Teil mitfinanziert hat. Das Problem liegt eher in der Botschaft des Films, die durch den russischen Angriff auf die Ukraine konterkariert wird: Die vorsichtige Annäherung zwischen Russland und seinen Nachbarn, die Kuosmanen hier durch seine Hauptfiguren suggeriert, wird wohl für lange Zeit ein Traum bleiben.
Carsten Beyer, rbbKultur