"Eine Sekunde" von Zhang Yimou © MUBI
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Drama - "Eine Sekunde"

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Der chinesische Filmregisseur Zhang Yimou war regelmäßig Gast bei den Berliner Filmfestspielen. Schon 1987 gewann sein Film "Rotes Kornfeld" den Goldenen Bären. Bei der chinesischen Opposition galt Zhang Yimou jedoch spätestens seit 2008 als Staatskünstler, seit er die pompöse Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking inszenierte. Als Zhang Yimou jedoch 2019 mit seinem neuen Film "Eine Sekunde" zur Berlinale eingeladen war, wurde er selbst Opfer der chinesischen Zensur. Inzwischen hat der Regisseur seinen jüngsten Film überarbeitet.

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Der Film spielt in der monumentalen Landschaft der Wüste Gobi mit ihrer einsamen Weite – ein Cinemascope-Format. Ein Häftling bricht aus dem Arbeitslager aus und jagt einer Filmrolle mit der neuesten Wochenschau hinterher, die der Motorradbote für die nächste Vorstellung zum Kino der Wüstenstadt liefern soll. Als er die Rolle schon in der Tasche hat, wird er von einer jungen Frau überfallen und beraubt.

Ein Rückblick in die Zeit während der chinesischen Kulturrevolution

Zhang Yimous Film "Eine Sekunde" handelt vom Kampf ums Zelluloid. Für den Häftling ist die Rolle deshalb von solcher Bedeutung, weil in der Wochenschau seine Tochter zu sehen ist, die mit 14 Jahren in einem Kornspeicher arbeiten muss. Für die junge Frau, die ihn überfällt, ist das 35mm-Material wichtig, weil sie damit einen Lampenschirm basteln kann. Ihr kleiner Bruder hatte versehentlich einen solchen Lampenschirm angezündet und muss ihn nun ersetzen.

Es geht also um den emotionalen Gehalt von Film, aber auch um das greifbare Material.

Eine Liebeserklärung an das Kino

Zhang Yimou inszeniert beides – die Verführungskraft des Kinos und die Schönheit der Arbeit mit den Lichtbildern. Er hat selbst als Kameramann begonnen und beweist sich wieder als Bilderzauberer. Film ist hier das Abbild der Welt, ist Propaganda, Lüge, Verführung, sentimentale Erinnerung. Und gleichzeitig ist Film ein langer durchsichtiger Streifen mit gelochtem Rand. Zu den schönsten Episoden von "Eine Sekunde" gehört, wie das ganze Dorf in der Wüstennacht eine Filmrolle reinigt, aufhängt und trocknet, weil sie zuvor aus der Dose gefallen war. Die Streifen hängen wie ein Labyrinth im Raum, werfen ihre Schatten auf die Leinwand, während die Frauen ihnen vorsichtig Luft zufächeln.

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"Eine Sekunde" ist eine Liebeserklärung an das Kino, aber auch ein Abgesang an die Einmaligkeit der Vorführung. Zhang Yimou zelebriert, wie der Film in den Projektor gelegt wird, wie sich die Bilder auf der Leinwand in den leuchtenden Augen der Zuschauer:innen spiegeln. Wie das Publikum bei den Propagandaliedern mitsingt.

Und gleichzeitig sind die Bilder flüchtig. Genau eine Sekunde dauert der Auftritt der jungen Tochter, die Kornsäcke schleppen muss, weil ihr Vater in Ungnade fiel. Da deutet der Film auch autobiografische Stationen des Regisseurs an, der in einer Textilfabrik arbeiten musste, weil sein Vater gegen die Kommunisten gekämpft hatte.

Ein neues Ende

Es ist anzunehmen, dass der Schluss neu gedreht wurde, nachdem die Zensur eingeschritten ist. Fast sieht es so aus, als mache Zhang Yimou den Eingriff absichtlich deutlich durch einen Bruch in der Ästhetik. Das Ende der Geschichte spielt zwei Jahre später, 1966. Es gibt "neue Richtlinien", heißt es. Der Häftling wird entlassen, bekommt neue, warme Kleider, neue Schuhe. Als erstes wandert er in die Wüstenstadt, weil er hofft, die Bilder seiner Tochter aus der Wochenschaurolle wiederzufinden. Er trifft die junge Frau wieder, die ihn beraubt hatte und jetzt nicht mehr verwahrlost aussieht, sondern brav Zöpfe trägt. Eine neue Zeit ist also angebrochen. Und das frohe Lächeln auf den Gesichtern der Schauspieler sieht aus wie in dem Propagandafilm. Das wirkt, als würde der Regisseur mit bitterem Grimm die Zensur verhöhnen, in dem er die offizielle Lesart parodiert.

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"Eine Sekunde" – ein Denkmal

Es bleibt das Denkmal, das Zhang Yimou dem Zelluloid setzt. Die Erinnerung an die Unwiederbringlichkeit des Moments. Denn der Held hat nur eine einzige Sekunde, um seine Tochter zu sehen. Am Ende bleiben zwei Einzelbilder aus dem Film, die in den Wüstensand fallen. Es bleiben aber auch die atemberaubenden Aufnahmen, die Zhang Yimou von den sich ewig wandelnden Sandformationen der Wüste Gobi dreht. Nur eben mit neuer Technik.

Simone Reber, rbbKultur

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