Kriegsdrama - "Im Westen nichts Neues"
Basierend auf seinen eigenen Erfahrungen im 1. Weltkrieg, hat Erich Maria Remarque 1928 den Antikriegsroman "Im Westen nichts Neues" veröffentlicht. Die Geschichte eines jungen Soldaten im Krieg wurde zu einem Klassiker der Weltliteratur, der bereits zweimal verfilmt wurde. Gut 100 Jahre nach Ende des 1. Weltkrieges und gut 90 Jahre nach der ersten Verfilmung gibt es jetzt unter der Regie von Edward Berger die erste deutsche Interpretation des Stoffes. Der Film ist prominent besetzt mit Albrecht Schuch, Devid Striesow, Daniel Brühl und dem Kino-Newcomer Felix Kammerer in der Rolle des Paul Bäumer.

Die erste Verfilmung des Romans von Erich Maria Remarque 1930 von Lewis Milestone wurde gleich mit zwei Oscars ausgezeichnet: in den Königskategorien Regie und Bester Film. Eine weitere Verfilmung gab es in den 70er Jahren mit einem britisch-amerikanischen Fernsehfilm unter der Regie von Delbert Mann. Das Wiedersehen mit der 90 Jahre alten, ersten Verfilmung zeigt: Er ist wirklich zurecht bis heute einer der berühmtesten Antikriegsfilme aller Zeiten. Obwohl der Film - wie damals üblich - im Studio gedreht wurde, kommt er doch sehr kraftvoll, nah und unmittelbar ran an die Kriegserfahrung. Sicher, da ist der damaligen Zeit entsprechend deutlich mehr Pathos im Spiel, es gibt sehr viel mehr Massenszenen. Trotzdem ist das Schicksal des einfachen Soldaten an der Front sehr ergreifend spürbar.

Das entscheidende Argument für eine Neuverfilmung
Im Land der Kriegsverursacher hatte es der Stoff schwer, die erste Verfilmung kam nur kurz und schwer verstümmelt, um über 50 Minuten gekürzt in die deutschen Kinos, bevor er dann von den Nationalsozialisten ganz verboten wurde, wegen "Herabsetzung der deutschen Reichswehr" und "Gefährdung des deutschen Ansehens".
Zum ersten Mal wird der Stoff jetzt aus deutscher Perspektive, mit deutschen Darstellern und in deutscher Sprache verfilmt. Was Edward Berger nicht wissen konnte, als er auf den Vorschlag eines Produzenten einging, war, wie brandaktuell der Stoff durch den Angriffskrieg in der Ukraine werden würde. Er wollte vor allem einen Film machen, der das Wissen der Zeit danach einbezieht, dass auf den "Krieg, der alle Kriege beenden sollte" noch der Zweite Weltkrieg folgte und dass inzwischen überall in Europa die rechten Kräfte erstarken, wie sich gerade am Sonntag in Italien drastisch gezeigt hat.

Noch näher, noch unmittelbarer
Edward Berger holt die Kriegserfahrung noch viel näher heran. Das Intime und Persönliche, das schon im Roman angelegt ist, verstärkt er mit den Mitteln des modernen Kinos, überträgt die Erfahrung des Kriegs noch direkter, noch physischer auf die Zuschauer:innen.
Am Anfang schauen die jungen Männer, Teenager, fast noch Kinder, naiv und scheu in die Welt, voll freudiger Erwartung, als würden sie in ein großes Abenteuer ziehen. Doch dann vor Ort, in der eisigen Kälte, auf den schlammigen Feldern an der Front und im Schützengraben merken sie sehr schnell, was Krieg wirklich bedeutet.
In den Bildern, die Berger und der britische Kameramann James Friend erschaffen haben, ist der Krieg eine dreckige, blutige Angelegenheit, ein apokalyptisches Weltuntergangsszenario, das sie mit der vollen Wucht des Kinos auf die Leinwand schleudern, in malerisch zerklüfteten Landschaften, aus denen nur noch ein paar winterliche Baumgerippe ihre kahlen Finger anklagend in den Himmel recken. Erde, Schlamm und Körper verschmelzen zu einer einzigen Masse, die alle Farben ausbleicht, bis der Farbfilm fast schwarzweiß erscheint.
Der Krieg als alles verschlingendes, apokalyptisches Monster
Besonders beeindruckend ist das Sounddesign, die Art, wie Geräusche und Musik ineinander übergehen - vor allem in einer Szene, in der die deutschen Soldaten zum ersten Mal einen Panzerangriff erleben, wenn diese gigantischen schwarzen Kriegsmonster anrollen und die Erde zum Beben bringen, als Metapher für die Höllenmaschine des Krieges als alles verschlingendes Monster.
Als Zuschauer:in ist man hautnah dabei, spürt quasi die klamme Kälte in den Kleidern, den nagenden Hunger, die Angst und das Grauen zusammen mit dem jungen Paul und seinen Kriegskameraden, spürt fast den Atem von Paul, dem Teenager, der in den Krieg zieht, seine Angst und seine Einsamkeit: "Ich hab Angst vor dem was kommt", sagt Paul gegen Ende. Dieser Satz trifft eine der Kernaussagen von Remarque, der immer gesagt hat, sein Buch sei kein Kriegs-, sondern ein Nachkriegsroman, es gehe vor allem darum, welche Spuren diese Erlebnisse bei den Menschen hinterlassen, die das überleben.

Hier die Soldaten an der Front, dort die Befehlshaber in den Salons
Lewis Milestone ist in seiner Verfilmung kurz nach dem Erscheinen des Romans sehr nah an der Vorlage geblieben. Berger nimmt sich größere Freiheiten und stützt sich dabei auf ein berühmtes Zitat von Erich Maria Remarque: "Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind. Besonders die, die nicht hineinmüssen.“
Diese Aussage ist für Berger der Anlass, die Szenen im Heimaturlaub, in dem Paul zu Hause alles fremd und unwirklich vorkommt, gegen Szenen in den Hauptquartieren auszutauschen. In krassem Kontrast zu den hungernden, frierenden, sterbenden Soldaten an der Front sieht man da die die Generäle (Devid Striesow) und Friedensverhandlungsführer (Daniel Brühl) in ihren sauberen, gebügelten Uniformen, die in warmen Salons Kaffee aus goldgeränderten Tassen schlürfen, dem Hund eine Hühnerkeule vom Esstisch herunterwerfen und sich beschweren, dass die Croissants vom Vortag sind.
Allerdings ist dieser Kontrast auch unnötig plakativ und überdeutlich ausgefallen.
Kein Stoff für einen gemütlichen Filmabend
So stark der Film ist, so schmerzhaft ist er auch als Erfahrung. Aber vielleicht ist gerade das ein Grund, ihn sich anzuschauen, für die Generationen, die 75 Jahre im Frieden gelebt haben. Vor allem aber sollten ihn Machthaber wie Putin sehen, der gerade 300.000 Reservisten in den Krieg zitiert, der also zu genau denen gehört, die Remarque meint.
Anke Sterneborg, rbbKultur