Drama im Rahmen des 12. Kurdischen Filmfestivals - "Nachbarn"
Am Donnerstag eröffnet im Berliner Babylon-Kino das 12. Kurdische Filmfestival. Seit 2002 werden dort Filme aus und über Kurdistan gezeigt. In diesem Jahr stehen bis zum 19. Oktober insgesamt 40 Kurz-, Dokumentar-, Spiel- und Experimentalfilme auf dem Programm, die um die Geschichte und Kultur des Landes kreisen. Eröffnet wird das Festival in diesem Jahr mit dem Film "Nachbarn" des in der Schweiz lebenden Kurden Mano Khalil. Zugleich kommt der bereits auf mehr als 100 Festivals gezeigte und mit vielen Preisen ausgezeichnete Film auch regulär in unsere Kinos.

Am Anfang des Films lassen der sechsjährige Sero und sein Lieblingsonkel im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei drei Luftballons steigen. In rot, gelb und grün symbolisieren sie die kurdische Flagge - eine gezielte Provokation für die türkischen Grenzposten.
Mit Kanonen auf Spatzen
Tatsächlich feuern die dann mit schweren Waffen auf bunte Ballons, schießen wie mit Kanonen auf Spatzen. In dieser Szene liegen die extremen Kontraste des Films, die Mano Khalil in einer feinen Balance hält, die Gewalt, die der kurdischen Minderheit angetan wird, und die Leichtigkeit und der Witz, mit der sie zumindest teilweise entkräftet wird.
Immer wieder arbeitet Khalil die Absurdität und Sinnlosigkeit der Situation heraus, in der idiotische Kriege aus Nachbarn und Freunden Todfeinde machen, so wie wir da auch hier in Europa kennen, im Irland-Konflikt oder im Bosnien-Krieg.

Fahnenappell am Morgen
Mit den titelgebenden Nachbarn ist der Regisseurs in seiner Kindheit vor rund 40 Jahren in einem kleinen Dorf in der kargen Steppenlandschaft Syriens aufgewachsen, nah an der Grenze zur Türkei, in einem Völkergemisch aus Arabern, Kurden und Juden. Hier wächst der kleine Sero behütet und geborgen in seiner kurdischen Familie und in einer kleinen, bunten, friedlichen Dorfgemeinschaft auf, in der die verschiedenen Kulturen friedlich zusammenleben und sich gegenseitig aushelfen. So kommt Sero am Shabat mit Onkel oder Vater zur jüdischen Familie, um die Kerzen anzuzünden. Das alles endet jäh an dem Tag, an dem Sero eingeschult wird - in einem kleinen, engen Bunkerbau ohne Fenster.
Der neue Lehrer des Ortes ist ein arabischer Hardliner, der die Kinder frühmorgens zum Fahnenappell ruft, bei dem die "arabische Nation mit einiger Mission" ausgerufen und der Führer Hafi Assad gepriesen wird. Plötzlich darf Sero nicht mehr kurdisch sprechen, kann aber auch kein arabisch, und wird dafür mit Stockschlägen auf seine Händ bestraft.
Finstere antisemitische Propaganda
Regisseur Mano Khalil ist selber Kurde. Da er in Syrien nicht als Filmregisseur arbeiten könnte, ist er Mitte der Neunzigerjahre ausgewandert und lebt heute in der Schweiz. In "Nachbarn" macht er den sechsjährigen Sero zu seinem kindlichen Alter Ego, schaut also nicht mit den Vorurteilen der Erwachsenen auf die Konflikte, sondern mit den staunenden unschuldigen Augen eines Kindes, das sich eher fragt und wundert als urteilt und anklagt.
Serhed Khalil, der ihn spielt, ist der Großneffe des Regisseurs und lässt das Wechselbad der Gefühle in feinen Nuancen über sein kindliches Gesicht ziehen. Doch Khalail geht es weniger um die Rekonstruktion der Vergangenheit, als zu demonstrieren, wie gegenwärtig das ist. Damals, sagt er, wurden die Weichen gestellt für die Konflikte und Kriege in der Region heute - insbesondere für den stark ausgeprägten Antisemitismus. Die Kinder werden im Rahmen einer systematischen arabischen Umerziehung indoktriiniert. In gruseligen Schultheater-Inszenierungen muss jedes Kind ein Land verkörpern: Irak, Kuweit, Somalia … Alle verbünden sich, um das arme, von den Juden entführte Palästina zu befreien, das von einem süßen, kleinen Mädchen verkörpert wird. Reihum übergibt der Lehrer den Kindern ein Messer, mit dem sie auf eine riesige, hässliche Strohpuppe einstechen sollen, die die sogenannte "jüdische Entität" repräsentiert. Wer sich wie Sero weigert, bekommt Stockschläge auf die Hand, und am Ende wird der Puppe der Kopf abgesäbelt, bis das Stroh rausrieselt. Danach wird der Kopf wieder angenäht, damit das grausige Theater am nächsten Tag wieder neu aufgeführt werden kann.
Finsterste Propaganda, in der der Hass geschürt wird, den sie als Erwachsene mit der Waffe umsetzen sollen.

Ein zutiefst humanistischer Film
Doch Khalil geht es nicht darum, den Hass weiterzutragen. Selbst der arabische Lehrer wird als Opfer der Ideologie gezeigt. "Freie Menschen, die ihre eigenen Entscheidungen treffen, haben keinen Grund, irgendjemanden zu hassen", sagt Khalil und zeigt, dass es auch in der aussichtslosesten Situation, mitten im Krisengebiet, Möglichkeiten des friedlichen Miteinanders von Menschen gibt.
Sero, der das so wie der Regisseur in seinem liberalen Umfeld erlebt hat, wird da zur versöhnlichen und vermittelnden Instanz in einem zutiefst humanistischen Film. Allen Härten zum Trotz setzt Mano Khlail auf diese Weise immer wieder auch sanfte Feelgood-Momente frei.
Anke Sterneborg, rbbKultur