Drama - "EO" - Film aus der Sicht eines Esels
Ein Film über den Leidensweg eines Esels, gedreht aus der Perspektive des Tieres. Der polnische Regie-Altmeister Jerzy Skolimowski lässt in "EO" die Konventionen des Kinos weit hinter sich und kann trotzdem berühren.

EO lebt als Esel in einem Wanderzirkus: Hier führt er ein ruhiges und behütetes Leben an der Seite Artistin Kassandra (Sandra Drzymalska), mit der er jeden Abend in der Manege auftritt. Doch sein Glück ist nicht von langer Dauer. Eines Tages muss der Zirkus aufgrund der Proteste von Tierschützern geschlossen werden und EO wird in einen Lastwagen abgeholt.
Für den Esel beginnt eine Odyssee durch Polen und Italien, in deren Verlauf er die Menschheit und ihre Absonderlichkeiten kennenlernt.

Odyssee eines Esels
Mal muss EO als Packtier dienen, mal droht er zu Futter verarbeitet zu werden. Er verliebt sich in ein Pferd, wird zum Maskottchen einer Fußballmannschaft – und kurz darauf von gegnerischen Hooligans verprügelt. Er findet als Streicheltier für Kinder einen Moment der Ruhe, lernt einen jungen Priester (Lorenzo Zurzolo) und eine alte Gräfin (Isabelle Huppert) kennen - und endet schließlich im Schlachthaus.
Immer für eine Überraschung gut
Der polnische Regisseur Jerzy Skolimowski ist immer für eine Überraschung gut. Bereits als Student Anfang der 60er Jahre schrieb er Drehbücher für Andrzej Wajda und Roman Polanski. Später drehte er eigene Filme, gewann 1967 den Golden Bären auf der Berlinale (mit dem Film "Le Départ") und wurde zum Star – zumindest eine Zeit lang, bis er sich in den 80er Jahren frustriert vom Filmbusiness ab- und stattdessen der Malerei zuwandte.
Bruch mit den Konventionen
Dass Skolimowski nun mit 84 Jahren noch einmal in den Wettbewerb von Cannes eingeladen wurde und dort sogar den Großen Preis der Jury gewinnen konnte, ist eine Verbeugung vor der Radikalität seines Schaffens. Denn "EO" ist nicht nur eine filmische Hommage für Skolimowskis Weggefährten Robert Bresson und dessen Filmklassiker "Au Hasard Balthazar", dieser Film ist auch ein eklatanter Bruch mit den Konventionen des Filmemachens.
Die Kamera auf Augenhöhe
War "Au Hasard Balthazar" noch ein episodischer Film über einen Esel, nimmt "EO" nun ganz und gar die Perspektive des Esels ein. Empathie für das Tier zu schaffen, das ist offenbar Skolimowskis Ziel. Die Kamera schwebt fast immer auf Augenhöhe des Tiers, auch der Sound ist so konfektioniert, als würde er mit den Ohren eines Esels wahrgenommen. Und nicht zuletzt folgt auch die Logik des Drehbuchs den Launen des Grautiers. Wollte der Esel einmal partout nicht das machen, was das Skript vorsah, dann musste eben umdisponiert werden.

Abruptes Ende per Bolzenschuss
Gesprochen wird in "EO" wenig und eine wirklich kohärente Handlung sucht man vergebens. Stattdessen gibt es tolle Bilder von gleich drei Kameramännern (Michał Dymek, Paweł Edelman und Michał Englert), eine opulente Filmmusik (Paweł Mykietyn) und den Versuch, sich in das Denken eines Tieres hineinzuversetzen.
Kann EO Gut und Böse unterscheiden? Kann er die Leidenschaften der Menschen verstehen? Eine klare Antwort bleibt Skolimowskis Film schuldig. Stattdessen endet EOs Geschichte abrupt im Schlachthaus mit einem Bolzenschuss.
Carsten Beyer, rbbKultur