Drama - "Close"
Vor vier Jahren machte der belgische Regisseur Lukas Dhont gleich mit seinem Debütfilm "Girl" Furore. Es war die einfühlsam erzählte und tief berührende Geschichte eines Teenagers, der im falschen Körper geboren ist und zwischen hartem Balletttraining, Pubertätswirren und den Vorbereitungen zur Geschlechtsangleichung zerrissen wird. Ein harter Stoff, sensibel erzählt. Nun kommt sein zweiter Film in unsere Kinos - und wieder hat er einen ganz einfachen Titel mit vieldeutigem Klang: "Close". Und wieder geht es um sensible Gefühle an der Schwelle von Kindheit und Adoleszenz.

Zwei 13-jährige Jungs - der blonde Remi und der dunkelbraunhaarige Léo - rennen lachend durch raschelnde Gräser und pink blühende Blumen. Es ist ein schwerelos-flüchtiger Moment, getränkt in Sommergefühlen. Die beiden Jungs sind unzertrennlich, sie spielen Jagd und Verfolgung, machen gemeinsam Faxen mit den Nudeln am Esstisch, lachen über Zeichnungen, die sie voneinander anfertigen, planen ihre gemeinsame Zukunft und kuscheln sich nachts eng aneinander wie zwei Katzen. Doch dann ist der Sommer vorbei und es kommt der erste Tag in der Oberstufe der neuen Schule.
Beste Freunde - im Sinne von Brüdern
Mit einem Schlag ist die unschuldige Zeit der Kindheit vorbei, plötzlich wird ihre gerade noch so selbstverständliche Freundschaft von außen beobachtet und beurteilt, in Frage gestellt und kritisiert: "Darf ich Euch mal etwas fragen?", sagt ein Mädchen in der Schulhofpause: "Seid ihr zwei zusammen?", und weiter: "Ich dachte nur, für einfache Freunde seid ihr echt krass eng miteinander. Das mein' ich jetzt nicht böse."
"Wir sind einfach beste Freunde, aber im Sinne von Brüdern", stellt Léo klar.

Schambesetzte Gefühle
Die Idee zu seinem zweiten Film hat sich für Lukas Dhont an dem Sachbuch "Deep Secrets: Boys' Friendships and the Crisis of Connection" entzündet, einer soziologischen Studie, für die die Autorin Niobe Way 150 amerikanische Jungs durch fünf Jahre der Adoleszenz begleitet hat. Mit 13 beschreiben sie ihre Freundschaften untereinander noch ganz offen als Liebe und sich gegenseitig als wichtigsten Menschen in ihrem Leben, mit dem sie alles teilen. Doch wenn ihnen dann mit 15, 16 oder 17 Jahren dieselben Fragen wieder gestellt werden, wagen sie es nicht mehr zu ihren Gefühlen zu stehen - aus Sorge, als feminin oder schwul zu gelten.
Als Lukas Dhont das las, fühlte er sich den amerikanischen Jungs eng verbunden, obwohl er selbst auf dem flämischen Land aufgewachsen ist: "Auch ich kam in meiner Jugend an einen Punkt, an dem ich Angst bekam vor Intimität, an dem ich meine Zerbrechlichkeit als Schwäche sah und nicht als Stärke. Das sagt sehr viel über Männlichkeit aus und darüber, wie Jungs in unserer Gesellschaft um eine tiefe menschliche Verbindung zueinander gebracht werden."
Verlust der Unschuld
"Close" spielt nun genau an dieser Schwelle zwischen Kindheit und Adoleszenz. Mit feinem Gespür für die Schwingungen fragiler Gefühle fängt Lukas Dhont die innige Freundschaft der beiden Jungs ein. Die jungen Laiendarsteller verkörpern sie mit authentischer Unmittelbarkeit. Statt Dialoge lernen zu müssen, durften sie die Geschichte als Co-Autoren mit ihren eigenen Worten füllen, wenn Léo nach den unbequemen Fragen der Kids nach Hause kommt, und sich verstört zurückzieht. Oder wenn der Versuch einer Aussprache von Remi und Léo auf dem Schulhof in einer Rauferei mündet:
"Wo warst du? Wieso warst du nicht da?", fragt Remi verunsichert. "Ich war so früh wach, und dann bin ich schon los", wiegelt Léo ab.
Als Remi zu weinen beginnt, kommt es zur Rauferei auf dem Schulhof.

Ein erschütternder Bruch und der Versuch, mit den Konsequenzen weiterzuleben
Eindringlich vermittelt Lukas Dhont, wie diese kostbare Freundschaft zerbricht, weil die Gesellschaft mit ihren vorgefassten Vorstellungen von Geschlechteridentitäten, von männlich und weiblich eine Eindeutigkeit verlangt, die nicht zur Pubertät passt. Unter dem Zwang der Gruppe verrät Léo seine Freundschaft zu Remi, wendet sich von ihm ab und den tafferen Jungs in der Hockey-Mannschaft zu.
Nach einem erschütternden Bruch geht es im zweiten Teil des Films darum, wie er mit den Konsequenzen dieser Ereignisse weiterleben kann. Auch das lässt Lukas Dhont auf ergreifende Weise eher sanft anklingen, als es konkret auszubuchstabieren.
Anke Sterneborg, rbbKultur