Berlinale Wettbewerb - "The Shadowless Tower"
Schon mehrfach war der chinesische Regisseur Zhang Lu mit seinen Filmen in verschiedenen Sektionen auf der Berlinale vertreten. In seinem neuesten Werk "The Shadowless Tower" umreist er eine dysfunktionale Familie und taucht in eher unbekannte Bezirke von Peking ein.
Im Zentrum des Films irrt der Restaurantkritiker Gu Wentong (Xin Baiqing) ziellos durch Peking, zusammen mit einer jungen Frau, die die Fotos zu seinen Artikeln liefert. Von der Mutter seiner sechsjährigen Tochter ist er geschieden, die Tochter lebt bei seiner Schwester, zu seinem in einer anderen Stadt am Meer lebendem Vater hat er seit frühester Kindheit keinen Kontakt, weil die Mutter ihn wegen eines angeblichen sexuellen Übergriffs im Bus verstoßen hat.

Väter und Söhne
Am Anfang des Films trifft sich ein Teil der Familie am Grab der Großmutter. Dort steckt einer seiner Brüder Gu Wentong einen Zettel mit Adresse und Telefonnummer des Vaters zu. Halbherzig beginnt er Kontakt zu knüpfen, ruft an, meldet sich aber nicht, schaut sich heimlich in seiner ärmlichen kleinen Wohnung um, beobachtet ihn beim Drachensteigen am Strand.
Vielschichte Kompositionen
Auf den ersten Blick wirkt der Film recht einfach, bei näherem Hinsehen erweist er sich als sehr fein und vielschichtig komponiert, mit vielen sich wiederholenden Motiven, mit Spiegelungen und Reflektionen, mit Durchblicken durch Fenster und Türen, hinter denen im Hintergrund andere Menschen zu sehen sind. Das Geflecht der Familienbeziehungen ist zum Gesellschaftsbild verwoben, in dem vor allem die Männer ziellos und unentschlossen wirken, zu höflich und zurückhaltend, um ihre Interessen zu vertreten.
Eine tibetische Pagode
Gedreht wurde in Peking, abseits der bekannten Orte der Stadt - dort, wo sie weniger kantig, weniger grau, weniger pompös aussieht. Das Viertel, in dem der Film hauptsächlich spielt, wird von dem titelgebenden markant weißen Turm dominiert, einer tibetischen Tempelpagode, die mit ihrer außergewöhnlichen Form und dem strahlenden Weiß seiner Fassade aus dem Stadtbild hervorsticht. Im unteren Teil ist der Turm so zugebaut, dass es den Eindruck erweckt, er würde keinen Schatten werfen, was wiederum auch eine Metapher ist für den zentralen Helden, der in der Mitte seines Lebens steht, in der die Sonne am höchsten, direkt über ihm steht, so dass er keinen Schatten wirft. Aus verschiedenen Perspektiven kommt der Turm immer wieder in den Blick und wird dabei zum Fokuspunkt der Erzählung, an dem sich die Erzählfäden kreuzen.
Anke Sterneborg, rbbKultur