Berlinale Wettbewerb - "Roter Himmel"
Mit Filmen wie "Barbara", "Phoenix" und "Transit" hat sich Christian Petzold immer tiefer in die deutsche Geschichte geschraubt. Im Kontrast dazu erzählt sein neuer Film, der als vierter deutscher Beitrag im Berlinale-Wettbewerb läuft, wieder eine sehr gegenwärtige Geschichte. "Roter Himmel" ist ein Sommerfilm, der an der Ostsee spielt.
Derzeit strömt eine ganze Reihe von Filmen in die Kinos, die im Ausnahmezustand der Pandemie entstanden sind. Das gilt auch für "Roter Himmel", den Christian Petzold in der Quarantänezeit einer Corona-Erkrankung konzipierte. Und da er damals gerade in Frankreich war, um Presseinterviews zu seinem letzten Film "Undine" zu geben, fiel ihm auf, dass Sommerfilme in Frankreich und auch in Amerika eine ganz andere Leichtigkeit haben, während sie in Deutschland eher zum Problem- oder Coming out-Drama neigen.
So wurde "Roter Himmel" zu einem Spiel mit vielen Genres: ein bisschen Horror, ein bisschen Drama, ein bisschen Komödie - und dazu noch ein Katastrophenfilm über Feuersbrünste im Wald.
Fragile Lebenssituationen
Es beginnt damit, dass zwei Freunde, Felix (Langston Uibel) und Leon (Thomas Schubert) in ein Haus an die Ostsee fahren, wo sie beide arbeiten wollen. Leon ist Schriftsteller und ringt mit seinem zweiten Roman, Felix will eine Mappe für die Bewerbung an der Kunstakademie zusammenstellen. Auf dem Weg bricht mitten im Wald ihr Auto zusammen. Als einer der beiden losläuft, der andere kurz vor der hereinbrechenden Dunkelheit mit dem Gepäck warten soll, steigen düstere Horrorahnungen auf, die sich aber bald wieder zerstreuen. Bei der Ankunft stellt sich heraus, dass das Haus bereits besetzt ist, weil Felix' Mutter Termine verwechselt und die Nichte eines Freundes eingeladen hat.
Während Felix sich ganz locker auf die neue Situation einlässt, ist Leon total genervt, wirkt darin kleinlich, bockig und feindselig - was Thomas Schubert großartig spielt in einer Mischung aus schmollendem Unwillen und lauernder Beobachtung. Spürbar ist seine trotzige Verweigerung und dünnhäutige Empfindlichkeit seiner fragilen Lebenssituation geschuldet.
Voller Nervosität und Anspannung erwartet er die Ankunft seines Lektors und steht sich mit seiner Verweigerungshaltung aber auf herzzerreißende Weise selbst im Weg. Ganz nebenbei geht es - ähnlich wie bei den Puppenspielern in "Le grand chariot" - auch hier um künstlerische Prozesse und die damit verbundenen Existenzängste, aber auch darum, wie das wirkliche Leben die Kunst inspiriert.
Sprühende Sinnlichkeit
Paula Beer hat Nina Hoss als Muse des Regisseurs abgelöst: Nach "Undine" und "Transit" ist "Roter Sommer" der dritte Film, den die beiden gemeinsam gedreht haben. Im Vergleich mit den sehr ätherischen, rätselhaften Figuren der beiden anderen Filme, wirkt Paula Beer hier sehr viel irdischer und sinnlicher - mit wehenden Locken und flatternden Kleidern und einem mal lachenden, mal verträumten Blick.
Über ihre Nadja weiß man zunächst nicht viel: Sie ist fröhlich und aufgeschlossen, wirkt entwaffnend unbefangen und sympathisch, sprühend vor Sinnlichkeit Sie arbeitet als Eisverkäuferin in einem Strandrestaurant und hat nachts hörbar leidenschaftlichen Sex mit dem Rettungsschwimmer des nahegelegenen Strandes. Leon beobachtet sie aus der Ferne in einer Mischung aus Missbilligung, Interesse und Eifersucht.
In dieser Sinfonie fein abgestufter Gefühle entwickeln die wenigen Worte in Mimik, Gestik und Körpersprache einen vielschichtigen Subtext, ganz ähnlich wie in "Barbara", nur nicht in Form eines Duos, sondern als Quartett, das durch die Ankunft des Verlegers (Matthias Brandt) zusätzlich in Unruhe versetzt wird.
Reale Bedrohung fiktiver Beziehungen
Und dann wird die Dynamik in den wechselnden Konstellationen und Kräfteverhältnissen durch eine Gefahr von außen zusätzlich bedroht. Es beginnt mit dem Geräusch kreisender Hubschrauber, setzt sich in Nachrichtenmeldungen fort, bis sich in der Ferne der Himmel rot färbt und brennende Wildschweine durchs Unterholz rennen. Mit den Waldbränden bricht die Realität des Klimawandels über die fiktiven Beziehungsgeschichten herein.
Anke Sterneborg, rbbKultur